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Vom Regen in die Selfie-Traufe. Der Rain Room in Shanghai

Shanghai boomt. Dass sich diese Aussage nicht auf die Wirtschaft beziehen kann, weiß jeder, der in den letzten Monaten ferngesehen oder eine Zeitung aufgeschlagen hat. Es geht vielmehr um Kunst, allerdings auch hier ausnahmsweise nicht um den Marktaspekt, obwohl das im Zusammenhang mit China unwahrscheinlich klingt. Ausblenden lässt sich das Geld hier nie. Wie sollte das schließlich gehen in einem Land, das bisher genau ein öffentliches Museum für zeitgenössische Kunst aufweisen kann. Und das hat vor gerade einmal drei Jahren geöffnet. Ein ehemaliges Kraftwerk am Ufer des Pu Dong-Flusses bildet als Shanghais Power Station of Art im Süden der Stadt das Tor zu einer Kunstmeile, die sich gerade mit rasender Geschwindigkeit über das Areal ausbreitet, auf dem 2010 die Expo abgehalten wurde. Das Gelände gehört einem Immobilienkonzern in staatlichem Besitz, und es ist erklärtes Ziel, die bereinigte ehemalige Industriebrache nicht nur mit den überall aus dem Boden schießenden Hochhaussiedlungen zuzupflastern. Die euphemistisch nach der kolonialen Uferstraße West Bund getaufte Gegend soll sich stadtplanerisch am Fluss entlang mit Kunst entwickeln. Mehrere private Museen sind hier bereits entstanden. Deren Geschäftsmodell unterscheidet sich von vielen anderen privat betriebenen Ausstellungsräumen in China, wie etwas dem Rockbund Museum. Der von David Chipperfield renovierte Bau aus dem Jahr 1929 gehört ebenfalls einem Immobilienkonzern, der den gesamten Straßenblock gekauft hat und jetzt entwickelt. Das Museum, das über keine eigene Sammlung verfügt, dient vornehmlich der Aufwertung des entstehenden Gebäudekomplexes. Am West Bund ist die Ausgangslage eine andere. Das Long Museum ist ein privater Neu- und Umbau, der eine umfangreiche eigene Sammlung chinesischer Kunst von der Kaiserzeit über die sogenannte Red Art des Kommunismus bis zu zeitgenössischer Produktion beherbergt und zu thematischen Ausstellungen mit Leihgaben ergänzt. Das Shanghai Center of Photography wiederum ist Mieter eines Baues, der zur Expo entstanden ist und von dem ehemaligen Fotojournalisten Liu Heung Shing und anderen ehrenamtlich betrieben wird. Mit Leihgaben bestrittene thematische Wechselausstellungen sollen durch den Aufbau einer eigenen Sammlung ergänzt werden. Ein Pionier in der Gegend war Budi Tek. Seit Jahren ist er eine der auffälligsten Figuren in der internationalen Großsammlerszene. Seine Kollektion zeitgenössischer chinesischer Kunst seit den 1970er Jahren wird wohl nur noch übertroffen von seiner Vorliebe für Großkunst internationaler Produktion. Das von ihm betriebene YUZ-Museum ist in einem umgebauten Flugzeughangar untergebracht. Ort und Zeit scheinen ideal für die Präsentation eines Kunstwerks, das in den letzten drei Jahren Furuore gemacht hat wie wohl kaum ein anderes. Der "Rain Room" der Künstlergruppe Random International gilt als das meist-instagrammierte Kunstwerk bisher. Von einem amerikanischen Sammler finanziert, war das Werk zuerst zuerst im Londoner Barbican zu sehen, wo sich schon endlose Schlangen bildeten. Dort entdeckte Klaus Biesenbach die Arbeit für sich und ließ eine zweite Edition im MoMA installieren. Dort war es dann schon ein Must, ein Bild von sich selbst in dem Kunstwerk zu posten. Was macht den "Rain Room" so besonders, dass sich ein einzelnes Kunstwerk zu einem derartigen Phänomen entwickeln kann? Zunächst scheint es sich um einen Raum zu handeln, in dem es schlicht regnet, ununterbrochen. Sobald der Besucher den Raum betritt, öffent sich der Regenteppich an dieser Stelle, um sich dahinter wieder zu schließen. Man geht durch einen kräftigen Landregen, ohne nass zu werden. Dieses "Wunder", auf dessen technischen Hintergründe hier nicht eingegangen werden soll, spricht unweigerlich archaische Instinkte jedes Besuchers an. Es praktisch nicht möglich, sich der Faszination dieses Werks zu entziehen. Mindestens ebenso interessant und vergnüglich sind jedoch die Reaktionen der anderen Besucher. Genau darum geht es Random International, erklärt Hannes Koch, eines der Mitglieder: um die Interaktion der Menschen mit der Regenmaschine und untereinander. Zudem reagiere jeder Kulturkreis anders. In London hätten die Menschen geduldig Schlange gestanden und hätten sich auch sonst kaum exaltiert, wie es eben so die Art der Briten sei. In New York wäre es eben zu dem Selfie-Wahn gekommen. Bei der Eröffnung und einem Probelauf in Shanghai wiederum wird deutlich, dass die Bewegung im Raum für die Besucher eine wichtige Rolle spielt: sie schreiten, sie tänzeln oder vollführen an Tai Chi erinnernde Schrittfolgen. Man möchte sich dieses Werk gerne in Italien oder Finnland vorstellen. Ob der Rain Room tiefgehendere Einsichten zu vermitteln vermag als die physikalischen Taschenspielereien von Eliasson, Höller oder Nicolai, muss wohl jeder für sich entscheiden. Dass der Indonesien-Chinese Budi Tek sein Geld in der Agrarindustrie verdient hat, legt vielleicht zu offensichtliche Schlüsse nahe. Der Wüstenstaat Sharjah hat allerdings ebenfalls ein Exemplar geordert. Und beim Talk zur Eröffnung gesteht Tek, dass ihn an dem Werk durchaus die deutsche Ingenieurskunst fasziniere, die darin zum Ausdruck kommt. Der Asien-Vorstand des Sponsors VW hört das natürlich gerne. Und so schließt sich hier der Kreis: Jeder hat durchaus Interessen bei der Förderung von Kunst – seien es wirtschaftliche oder Prestigegründe. Vielleicht geht es einigen tatsächlich darum, ihren Teil beizutragen bei der Formung einer Bürgergesellschaft. Und was soll man schließlich tun in einem Staat, in dem intellektueller Auseinandersetzung enge Grenzen gesetzt sind und der selbst wenig Verständnis für zeitgenössische Kunst aufbringt und noch weniger Geld? www.yuzmshanghai.org
Mehr Texte von Stefan Kobel

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