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Selbstmord

„Le suicidé de la société“ überschrieb Antonin Artaud seinen Hymnus auf ihn: „Denn sind wir nicht alle, wie der arme van Gogh, Selbstmörder durch die Gesellschaft.“ Getrieben, verkannt, vom Wahnsinn geschüttelt, zum Genie geadelt, als Märtyrer sakralisiert in den falschen Himmel des Gegenweltlichen: So steht er im Raum, der romantische Künstler schlechthin, der Peinre Maudit, der Trinker und Asket, der Bordellgänger, der Bohemien, ausgehalten von seinem Bruder, der der Bourgeoisie zuarbeiten musste, indem er ihr schlechte Malerei verkaufte. Genau 125 Jahre ist es her, dass Vincent van Gogh Hand an sich legte, am 27. Juli 1890, irgendwo um Auvers herum, wohin er ein Vierteljahr davor gezogen war, um zur Ruhe zu kommen. Er hatte sich in die Brust geschossen, schleppte sich anschließend ins Gasthaus, fiel dabei, so berichtet es der Künstlerfreund Emile Bernard, dreimal zu Boden, als wäre es sein ureigener Kreuzweg. Zwei Tage darauf, am 29. Juli, war van Gogh tot. Auszug aus dem Brief von Vincent van Gogh an Bruder Theo vom 23. Juli 1890. Quelle: Van Gogh Museum, vangoghletters.org Ein Selbstmörder durch die Gesellschaft. Man kann es schon so nennen, besonders wenn man die Mentalität berücksichtigt, die seiner Zeit, dem späten 19. Jahrhundert, auferlegt war. Sie bestand aus einer kruden Mischung von Verstiegenheit und Geschäftsgeist, Kreativität war ein Zauberwort, Materialismus ein anderes. Wer will, kann schon die ominöse Sache mit dem Ohr daraus erklären. In Cesare Lombrosos Abhandlung über „Genie und Wahnsinn“ ist zu lesen, dass die Verletzung eines Organs eine Kompensation bei einem anderen bedeuten kann. Wer also sein Sehen befördern will, könnte Abstriche machen beim Hören (ich kann mich aus meiner Kindheit gut an alte Männer erinnern, die sich einen Ohrring stechen ließen, weil das Augenlicht nachließ). Es war jedenfalls eine Art Kalkül, das da waltete, eine Verrechnung, die wüst hin- und heraddierte zwischen ästhetischem Einsatz und Amortisierung im Materiellen. Van Gogh hatte einen Brief in der Tasche, als er sich den Schuss gab. Das Schriftstück war, wie die meisten der etwa 700 erhaltenen, an den Bruder Theo gerichtet, und auch hier, gerade hier, lässt sich von der Haushaltsführung lesen, die den Maler aus Leidenschaft und Lebenskraft ins Finanzielle verstrickte. Folgende Punkte spielen eine Rolle: Vincents lebenslange Abhängigkeit von der Unterstützung durch den Bruder; der Bestand an Bildern, der im Gegenzug bei Theo zusammen gekommen war, an Bildern, die bis dahin nichts anderes waren als unverkäuflich; die prekäre Situation des Bruders, der große Probleme mit seinem Arbeitgeber hatte, den Kunsthändlern Boussod & Valadon in Paris; die Geburt von Vincent Willem im Januar 1890, des Sohnes von Theo und seiner Frau Jo, des Patenkindes, auf das der verschrobene Onkel besonders stolz war, da es die eigene Unzufriedenheit, es nur zu Bildern und nicht zu Kindern gebracht zu haben, auffing; dieses Kind würde die Früchte ernten; schließlich die Preise, die einer der Lieblingsmaler van Goghs, Jean-Francois Millet, mit seinen Gemälden genau seit der Zeit erzielte, da er tot war. „Bis es soweit ist“, heißt es in van Goghs letztem Brief an seinen Bruder, „daß wir Geschäftliches mit ausgeruhterem Kopf besprechen könnnen, wird es wahrscheinlich noch lange dauern“. Er hat sich dann für die rasche Version entschieden. Sein Selbstmord stellte abrupt auf die Beine, woran er, solange er lebte, gescheitert sein würde. Es war eine Ökonomie der Tat. Man muss sagen, sie war wohl überlegt.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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