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Lea Lublin - Retrospective: Musealer Schießstand

"Man muss nur außerhalb der etablierten Netzwerke suchen", meint Stephanie Weber. Die Kuratorin für Gegenwartskunst am Münchner Lenbachhaus umschreibt damit ihr Vorgehen, um Lea Lublin einen angemessenen Rahmen zu zeichnen. Als die Kunsthistorikerin im September vergangenen Jahres ihren Dienst an der Isar antrat, war für sie klar, dass sie eine Ausstellung mit der hierzulande nahezu unbekannten Künstlerin, die von 1929 bis 1999 lebte, zeigen will. Ein Jahr nahm die Recherche für die Restrospektive mit gut 50 Arbeiten und Dokumenten aus dem Nachlass in Anspruch. Recht wenig, wenn man bedenkt, dass sich das Team des Hauses nicht auf Vorarbeiten anderer verlassen konnte. Nun ist also wieder eine Unbekannte, die zu Lebzeiten allerdings beinahe jeder kannte, dem Vergessen entrissen worden. Ein ein Bällebad, Schießstand, ein transparenter Tunnel oder eine Allee aus Monitoren die Echtzeitbilder von nebenan zeigen: In einem Museum wie dem Münchner Lenbachhaus würde man funktionstaugliche Jahrmarktsvergnügen nicht erwarten. Hier aber ist alles da, um benutzt zu werden – ganz im Sinne der Künstlerin. Dass mitgemacht wird, erwartet man vom Besucher der Retrospektive des Werks von Lea Lublin geradezu. "Fluvio Subtunal" ist für die Ausstellung rekonstruiert worden. Es ist ein 200 Quadratmeter großer Parcours, der als begleitendes Kunstwerk zur Eröffnung eines gigantischen Tunnelbaus in Argentinien 1969 auf 900 Quadratmetern in einem Kaufhaus realisiert worden ist. Die Künstlerin schuf Mitmachobjekte, denn Kunst wurde als Medium verstanden und nicht nur als unberührbares, sich selbst bezweckendes Ideal einer leicht zu handelnden Schönheit in Form von Leinwänden oder Plastiken. Lublin, die aktive Feministin war und die Kunstszene sowie Kunstbegriffe hinterfragte, ist auch deswegen eine Entdeckung. Und sie bereichert den Kanon bekannter Namen wie Valie Export, Carolee Schneeman oder Lygia Clark. Dass diese Arbeiten im Bewusstsein der Historiker noch keinen Platz haben, liegt auch an der amerikanisch-europäischen Ignoranz, die damals KünstlerInnen entgegenschlug, die nicht aus dem Mainstream stammten. Heute schauen wir anders, und in der Kunst des Kuratierens etabliert sich mittlerweile und mit extremer Verspätung eine Art postkolonialer Blick und Forscherdrang. Ein Ergebnis davon ist diese Ausstellung. Lublin, die argentinisch-französische Künstlerin, arbeitete in einer Zeit, die von Vietnamkrieg, atomarer Abschreckung, Geschlechterungleichheit, Rassenhass und dem nagenden Krisengefühl geprägt war, dass die Alte Welt, Amerika inklusive, mit ihrem chauvinistischen Latein am Ende war und der Ostblock auf Grund seiner sichtbaren Repressionen auch keine Alternative darstellte. Sie war beeinflusst von rationalistischer Konzeptkunst, fing an, Forschung zu betreiben, agierte in ephemeren Performances, brachte spielerische Objekte hervor und hatte sich von einer nur auf ästhetisch-formale Fragen abzielenden Kunst verabschiedet. Zu sehen sind im Kunstbau des Lenbachhauses etwa fünf "Befragungen zur Kunst", in denen Lea Lublin auf der FIAC oder im Espace Cardin nachfragt, ob Kunst Fetisch, Konzept, Neurose oder Ausdruck sei. Damals antwortete auch der Kunsthistoriker Pierre Restany. Kunst sei ja alles, was sie frage. In einer dörflichen Fachwerkidylle namens Neuenkirchen, wo es damals 100 Gramm Bierwurst für 88 Pfennige zu kaufen gab, wie das Setting vor einem Minisupermarkt zeigt, waren die Antworten und Ressentiments der wenigen Passanten dann schon handfester: alles, was schön sei, und die Ästhetik habe die Kunst – bedauerlicherweise – längst verlassen. Im Rahmen dieser Aktionen zeigte sie bannerartige Flaggen, auf denen die Fragen per Schablone aufgebracht worden waren. Übrigens auch bei der "Befragung" danach, was "die Frau" sei. Ein "Spermabehälter", ein "Opfer"? "Ist die Frau für alles gut?" In einer Prozession wurde exakt diese "Flagge" der Neugier dann in der Seine versenkt – doch die Fragen blieben, nachdem man das Tuch aus dem Fluss zog. Die 1970er- und 1980er-Jahre sind mit dieser Ausstellung um eine Facette reicher geworden. Hier zeigt sich, wie vielseitig eine Kultur sich selbst zum Ausdruck brachte, Formen des Protests sublimierte und bestehende Ordnungen radikal hinterfragte. Dass sich Lea Lublin zudem am Gott der Konzeptkünstler und Schachspieler, Marcel Duchamp, abarbeitete, nimmt nicht wunder. Denn hinter seinen avantgardistischen Arbeiten lag ein "revolutionärer" Chauvinismus verborgen. "Voir Clair" (1965), eine Mona Lisa mit Scheibenwischer zum Selbstreinigen, entlarvt ihn. Diese Fetischdarstellung will uns neu sehen lernen. Bei Duchamp war sie nur Gegenstand seines sexistischen wie intellektuellen Spotts.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Lea Lublin - Retrospective
25.06 - 13.09.2015

Städtische Galerie im Lenbachhaus
80333 München, Luisenstraße 33
Tel: +49 89 233 32 00 0, Fax: +49 89 233 32 00 3/4
Email: lenbachhaus@muenchen.de
http://www.lenbachhaus.de/
Öffnungszeiten: Di - So 10.00 - 18.00


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