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Machtfragen: Einladungen, Vetos, Zensur

Die Kontroverse über die Ausstellung »La Bestia y el soberano« im MACBA in Barcelona erhitzte in der vergangenen Woche die Gemüter gleich mehrmals: Zu Beginn der Woche wurde die Ausstellung am Tag der Eröffnung abgesagt, da sich die Kurator/innen dem Wunsch des Direktors widersetzten, das umstrittene Werk »Not dressed for Conquering« von Ines Doujak aus der Ausstellung zurückzuziehen. (1) Eine überraschende Wende nahm der »Fall« dann nach wenigen Tagen: Offensichtlich unter dem Eindruck wachsender Kritik nahm der Direktor seine eigene Entscheidung zurück und ließ die Ausstellung mit dem Werk des Anstoßes eröffnen. Zugleich gab er bekannt, dass er zurücktreten würde, sollte der Stiftungsrat des Museums diesen Schritt für notwendig erachten. Die Kontroverse könnte zum Schulbeispiel in den zahlreichen Kurator/innenlehrgängen dieser Welt werden. Schnell wäre dabei jedoch klar, dass die Frage nach der »Zensur« des Werks nur in Verbindung mit zahlreichen anderen Rechts- und Machtfragen des zeitgenössischen Ausstellungswesens untersucht werden könnte. Denn jede ambitionierte Ausstellung stellt nur den Endpunkt eines Aushandlungsprozesses dar, der nicht losgelöst von den Interessen aller Beteiligten gesehen werden kann. Die Ablehnung einzelner Werke oder Projektvorschläge steht dabei häufiger auf der Tagesordnung als jenen bewusst sein mag, die praxisfern glauben, dass Künstler/innen nach erfolgten Einladungen völlige Freiheit genießen. In realiter reicht das Spektrum der Einladungsformate von informellen »Carte Blanche«-Aufforderungen bis zu Produktionsvereinbarungen mit detaillierten Vorpräsentationspflichten, die den Künstler/innen keinen Spielraum zur Ausstellung »unerwünschter« Werke lassen. Beteiligte an Konflikten müssen jedoch überraschend häufig eingestehen, dass sie zu Beginn der Zusammenarbeit wenig über die genaueren Modalitäten der Ausstellungsteilnahme vereinbart hätten. (2) Die Frage nach der ursprünglichen Vereinbarung ist dabei nicht von der Frage der Macht zur trennen, da nur vereinbart werden kann, was sich aus der jeweiligen Position auch durchsetzen lässt. Der MACBA-Fall zeigt deutlich auf, dass sich die Machtfrage nicht nur im Verhältnis zu den Künstlerinnen und Künstlern stellt, sondern auch den Spielraum definiert, den interne und externe Mitarbeiter/innen genießen. Auffällig in Barcelona war dabei nicht, dass der Direktor das Recht auf »final cut« in Anspruch nahm – dies ist gängige Praxis – , sondern dass diese Intervention erst in den letzten Stunden vor der Eröffnung erfolgte, öffentlich abgelehnt wurde und kurzfristig zur Absage des gesamten Projekts führte. Häufiger ist der Fall – und dies zählt zu den schwierigeren Teilen kuratorischer Arbeit – dass von Kurator/innen erwartet wird, institutionspolitische Bedenken oder direktorale Vetos im Vorfeld geräuschlos zu berücksichtigen. Das Machtargument wird zur Endlosschleife, wenn man wiederum bedenkt, dass Interventionen gegenüber externen Starkurator/innen wohl seltener und vorsichtiger erfolgen werden als im Weisungsalltag pyramidaler Organisationen. Es ist also die jeweils spezifische Macht- und Interessenskonstellation, die als Kurator/innenvertrag, Einladung, Produktionsvereinbarung oder Korrespondenz zu ihrer rechtlich relevanten Form findet. Zumindest auf dem Reißbrett der Ausstellungsorganisation wäre es daher schwer vorstellbar, dass ein Kunstwerk erst kurz vor Eröffnung beeinsprucht wird, wenn ein dementsprechender Leihvertrag mit Abbildungen bereits mit ausdrücklicher Gegenzeichnung des Direktors abgeschlossen worden wäre. Eine derartig schematische Darstellung lässt jedoch außer Acht, dass Ausstellungsproduktion ein dynamischer Vorgang ist, der noch dazu nicht im luftleeren (und dadurch windstillen) Raum stattfindet. Selektive Wahrnehmung und Informationsverknappung sind hier theoretisch ebenso möglich, wie abrupte Meinungsumschwünge auf Grund äußeren Drucks. Institutionen sind dabei nicht unabhängig von der Großwetterlage in ihrer Umgebung. Dies zeigte sich am MACBA-Beispiel nicht zuletzt an der Kehrtwendung des Direktors, die wohl auch durch den Gegenwind aus dem Kreis von Mitarbeiter/innen und der lokalen Kunstszene erzwungen wurde. Zur Erklärung der in diesem Text verwendeten Anführungszeichen muss angeführt werden, dass sich das Zensurverbot moderner Verfassungen vor allem gegen die historische Form der staatlichen Vorzensur und andere direkt-staatliche Eingriffe richtete. Es könnte also argumentiert werden, dass es sich bei vielen Konflikten im Ausstellungswesen weniger um »Zensur«, sondern um – allenfalls schadenersatzpflichtige – Vertragskonflikte handelt. Für ausgelagerte staatliche Institutionen wäre jedoch zu überlegen, ob Verhinderungshandlungen ihrer Vertreter/innen nicht auch direkt dem Staat zugerechnet werden könnten. Ein anderes weites Feld wäre die Frage, ob nicht bestimmte Genehmigungserfordernisse im öffentlichen Raum Vorzensur darstellen könnten? Doch wir versteigen uns bereits in juristisch äußerst dünne Luft, weswegen wir am Ende doch wieder zur einfachen Darstellung von Mächten, Kräften und Interessen zurückkehren: Was immer im MACBA auch hinter den Kulissen geschah: Auf offener Bühne erlebten wir ein kurzes Lehrstück über Machtausübung und ihre Grenzen inklusive der reuigen Umkehr des gefallenen Helden. Institutionen sind von innen selten so homogen, wie sie nach außen hin versuchen zu wirken. Die Verlaufslinien ihrer Macht werden zu Bruchlinien, wenn sie zu sehr belastet werden. -- (1) Die Darstellung basiert auf den verfügbaren öffentlichen Informationen. Eine Darstellung mit Stellungnahmen aller Beteiligten wäre interessant, ist jedoch für den Verfasser innerhalb der Ökonomie einer Kolumne nicht machbar. (2) siehe dazu: Die Praxis der fehlendenVereinbarung I Die Praxis der fehlendenVereinbarung II
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Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
Update, 23.3., 21:53 Uhr
Martin Fritz | 23.03.2015 09:54 | antworten
Lt. spanischen Quellen hat das "Comisso Delegada" des MACBA vor kurzem den Rücktritt des Direktors Bartomeu Mari angenommen.
Update, 23.3., 22:48 Uhr
Martin Fritz | 23.03.2015 10:49 | antworten
Offensichtlich hat die "Comissio Delegada" aber auch die Kündigungen des "Chief Curators" und des "Head of Public Programm" bestätigt.

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