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The Future of Memory: In der Endlosschleife digitaler Wirklichkeiten

Wirkt es eigentlich pessimistisch, wenn man fragt, ob sich aktuelle Kunst als Erzählform, als Format der Reflexion unserer Gegenwart überhaupt noch behaupten kann? Dieses Projekt jedenfalls stellt sich dieser Herausforderung und versucht, einen Goliath in den Griff zu bekommen, der in der realen Welt draußen kaum noch zu bändigen ist. Sie geht von unserer Alltagserfahrung aus, dass da, wo die Grenzen zwischen Virtuellem und Realen zunehmend verschwimmen, selbst Zukunft und Vergangenheit nicht mehr als einen Mausklick voneinander entfernt sind. Die Rede ist von den Folgen unentwegt expandierender Digitalisierung, von Aufzeichnung und Verbreitung virtueller Bilder. Im Blickfeld steht das Empfinden persönlicher Erinnerung in der digitalen Gegenwart der Online-Gesellschaft. So das Thema, unter das nahezu 30 KünstlerInnenpositionen subsumiert wurden. Welchen Erinnerungsspuren ist noch zu trauen? Etwa stellt sich die Frage, welchen Spuren überhaupt zu trauen ist? Worauf basiert so etwas wie kollektive Erinnerung. In »Unfall am Mittelpunkt Deutschlands« setzt Julius von Bismarck die Entstehung einer fiktiven Geschichte in Gang, in dem er vor Ort und schließlich per Foto, über Zeitung und Internet einen Autounfall mit einem VW-Golf inszenierte; an jener Stelle, wo in Thüringen 1991 eine Kaiserlinde als Zeichen für die Wiedervereinigung Deutschlands gepflanzt worden ist. Mehrere Mythen kommen da zusammen: die Raserei der Golf fahrenden Jugend der 1980er Jahre, die politische Einheit der Nation und überhaupt der Mythos der Authentizität des Bildes. Zwar handelt es sich um einen Fake, durch die mediale Verbreitung des vermeintlichen Ereignisses jedoch wurde dieser auch wirkungsmächtig. Insgesamt hat die Ausstellung Werkstatt-Charakter; wie ein sich nach vielen Seiten öffnendes, teils überbordendes Archiv, in dem unterschiedliche Medien und überhaupt Arten der Repräsentation untergebracht sind. Von Mal zu Mal ändern sich Maßstab und Größenverhältnisse. Opulent und wie in einem News-Room ist die Video-Wand von Dragana Žarevac, wo iranische, wo syrische Jugendliche oder auch BewohnerInnen des Gaza-Streifens tanzend zu sehen sind. Die Arbeit »Resist: Disappearing Happiness« geht von Pharell Williams’ Erfolgsnummer »Happy« aus. Mit fast 600 Millionen Hits auf You Tube kann dieser Mann wirklich lachen. Der Song wird in aller Welt tanzend performed. Solchen Bildern stellt die serbische Künstlerin Žarevac Aufnahmen politischer Ereignisse gegenüber. Zurück bleibt wenig – in der Erinnerung müsste man dazu sagen – nach Konfrontation mit diesem Google-Puzzle. Gibt es noch alternative Bilder? Im Nebeneinander von Realitäten bewegt man sich durch ein Soundgemisch: Florian Hecker ist mit einer elektroakustischen Komposition vertreten, deren Töne sich außerhalb des konventionellen Klangspektrums halten und per Richtlautsprecher wiedergegeben wird. Ein Video von Leon Kahane – mit stehender Kamera aufgenommen – zeigt eine Demonstration der in der Schattenwirtschaft Hong Kongs arbeitenden domestic workers. Wie könnte es anders sein: Auf der Straße filmen diese sich selbst ab und auch noch den Künstler. Dem Philosophen Jacques Rancière folgend fragt sich: Was wären die »anderen«, was die alternativen Bilder, wenn es nur noch Bilder gibt? Der Eindruck einer Thesenausstellung wird durch die offene, fragmentarisch und wie ein Gerüst- oder Regalsystem wirkende Architektur vermieden. Vielmehr hat man es mit einer nach den Rändern hin offenen Bestandsaufnahme zu tun. Das von Nicolaus Schafhausen kuratierte Projekt führt ein Konzept weiter, dem er bereits für den »55. October Salon Belgrad« im letzten Jahr gemeinsam mit Vanessa Joan Müller nachging. Durch die Wechsel in der Inszenierung und vor allem die unterschiedlichen Arbeitsweisen der KünstlerInnen, die zumeist um die 30 sind, wird dem Publikum oftmals die Bereitschaft zur Neuorientierung abgerungen. Dies erfordert Zeit. Befreiende Momente gibt es wenige. Lediglich Schönheit. Ob ihrer Künstlichkeit hinterlässt letztlich auch sie Beklemmung. Amalia Ulman, die 1989 in Buenos Aires geboren wurde, nennt ihre Performances auf Instagram und Facebook, die auf fingierten Körperveränderungen basieren, »Excellences and Perfections«. Ja, auch Übergänge zwischen dem Haptischen und Virtuellen sind ein Thema. Die Objekte von Antoine Catala erzeugen ein Verlangen nach differenzierter Textur. Eine solche entsteht erst nach Berührung derselben, womit die BesucherInnen sich in eine Art physisches Gedächtnis einschreiben. Letztlich bleibt die Frage zurück, ob der schillernde Titel überhaupt auf den Punkt bringen kann, was hier in der Ausstellung im Detail passiert. Natürlich leben wir einer gespenstischen Gegenwart, in der Milliarden von SMS, von Postings und Selfies – wir wissen eh schon wo – landen. Und genauso unheimlich scheint, mit welch eingelerntem Automatismus wir die Gegenwart löschen, indem wir Bildchen und Messages in Sekundenbruchteilen verkonsumieren, während sich die Algorithmen von Suchmaschinen für uns erinnern. Dies sind Paradigmen unserer Wahrnehmung. Und dennoch sind künstlerische Konzepte von beispielsweise Oliver Laric, Deimantas Narkevičius oder – sagen wir – Keren Cytter weit entfernt voneinander situiert. Allerdings wird auch nicht allzu große Zusammengehörigkeit suggeriert. Die Qualität liegt auf einer anderen Ebene. Ausgehend von einer explorativen und an der Gegenwart orientierten Arbeitsweise bringt die Kunsthalle, was eine Institution dieser Art öfter leisten sollte; nämlich ein nach vorne hin unabgeschlossenes Projekt, das in durchaus roher Form versucht, einen Szenewechsel in den Bedingungen künstlerischer Herangehensweisen wie auch Mythenbildungen und Konzentraten der Wahrnehmung in der postmedialen Gesellschaft zu erfassen.
Mehr Texte von Roland Schöny

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The Future of Memory
04.02 - 29.03.2015

Kunsthalle Wien Museumsquartier
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521 89-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-19, Do 11-21 h


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