Werbung
,

Nathalie Djurberg: Und wenn sie nicht gestorben sind ...

Es war einmal mitten in einem Wald, die Sonne ging schon unter, da verirrten sich eine junge Frau und ihr Begleiter im düsteren Dickicht und die Schlingpflanzen zerrten an ihren Kleidern und rissen ihnen schließlich die Gliedmaßen vom Körper. So in etwa lautet die Geschichte des Films Forest, einem der sinisteren Plastilin-Märchen der schwedischen Künstlerin Nathalie Djurberg. Zusammen mit den Videos Cave und Greed ist Forest Teil der raumgreifenden Multimediainstallation The Experiment – zu sehen im Base 103 in der Sammlung Goetz in München. Schon 2009 wurde The Experiment im zentralen Pavillon auf der Biennale in Venedig gezeigt; Djurberg erhielt dafür den Silbernen Löwen als beste Nachwuchskünstlerin. Nun wird die Arbeit, die von der Sammlung Goetz mitfinanziert wurde, erstmals in Deutschland ausgestellt. Die Monitore mit der filmischen Trilogie sind eingebettet in einen surrealistisch anmutenden Urwald: 139 überdimensionierte Pflanzen aus Kunststoff, Karton, Draht und Farbe wuchern in dem dunklen Raum im Untergeschoss des Ausstellungsgebäudes. Weit geöffnete Kelche, klebrig anmutende Stiele und giftig glänzende Blütenblätter erinnern an die künstlerischen Universen von Djurbergs Vorgängerinnen Louise Bourgeois und Niki de Saint Phalle. Die Knetanimationen der Schwedin sind bevölkert von sprechenden Tieren, spazierenden Bäumen, fliegenden Menschen und magischen Mischwesen. Die Figuren der Stop-Motion-Filme sind stets aus Plastilin geformt und die Filmsets meist liebevoll gebaute Puppenhauseinrichtungen. Aber in Nathalie Djurbergs Erzählungen wird der Frosch nicht zum Prinzen. Stattdessen fabriziert die 1978 in Lysekil geborene Künstlerin erwachsene Albträume aus dem Stoff der Kindheit. Unterlegt mit eigens komponierter Musik ihres Lebenspartners Hans Berg, inszeniert Nathalie Djurberg in ihren Videos gesellschaftliche Tabus wie Gewaltexzesse, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung oder Sadismus. In Cave zerfleischt sich eine in einer Höhle gefangene Frau im Kampf gegen ihren eigenen Körper Stück für Stück selbst. Greed zeigt drei lüsterne Kardinäle, unter deren Kutten sich zwei nackte Frauen gegenseitig quälen – noch vor dem Beginn der Missbrauchsdebatte um die katholische Kirche entstanden, wird der Film zu einem verstörend-unheimlichen Zukunftsszenario. Anders als etwa in den klassischen Märchen der Brüder Grimm enden Djurbergs bizarre Erzählungen nicht in einem moralischen Fingerzeig. „Ich spiele alle Rollen selber, sowohl Täter als auch Opfer. Es sorgt dafür, dass man Empathie empfindet und sich darüber bewusst wird, dass beides, sowohl das Gute als auch das Böse, immer in einem selber stecken,“ erklärt die Künstlerin in einem Interview ihre Auseinandersetzung mit der tragischen Obszönität des menschlichen Daseins. Es gehe ihr vor allem um das Aufzeigen von Machtstrukturen und deren Zerstörung. Die filmischen Moritaten verwandeln das trügerische Pflanzenparadies in einen betörenden Garten Eden der Unterwelt. Die fleischfressende Pflanze aus Frank Oz’ Film Little Shop of Horrors (1986) kommt einem in den Sinn – „Feed me“ singt sie und lechzt nach Blut. Man möchte wegschauen, kann den Blick aber nicht abwenden; man möchte zurück hinauf ans helle Tageslicht – und verweilt trotzdem.
Mehr Texte von Eventtipp

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Nathalie Djurberg
29.01 - 18.07.2015

Sammlung Goetz
81925 München, Oberföhringer Straße 103
Tel: +49 89 9593969-0, Fax: +49 89 9593969-69
Email: info@sammlung-goetz.de
http://www.sammlung-goetz.de
Öffnungszeiten: Do,Fr 14-18, Sa 11-16


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: