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curated by_ Peter Stastny: Good Night, Mister Procrustes: Trügerische Beruhigungsstrategien

Auf der heiligen Straße zu den halluzinogenen Mysterien von Eleusis bot der Schmied Prokrustes den Pilgernden ein Bett in seiner Schenke an. Anstatt der ersehnten Erholung erwartete die Reisenden am Fuße des Korydallos bei Athen jedoch eine brutale Marterung: Ihre Gliedmaßen wurden mit dem Amboss gestreckt oder je nach Bedarf abgehackt, bis sie in die eisernen Lagerstätten passten. Der Psychiater, Kritiker und Dokumentarfilmemacher Peter Stastny nahm den griechischen Mythos zum Anlass, das thematische Konzept des diesjährigen Galerienprojekts „curated by_“ – „The Century of the Bed“ – aus psychologischer Sicht zu untersuchen. Die Gefahr hierbei in Klischees abzudriften, mag groß (gewesen) sein: Ein in Wien geborener und in New York lebender Psychiater kuratiert in der Stadt Sigmund Freuds und seiner berühmten Couch eine Ausstellung, ausgehend vom Motiv des Prokrustesbettes. Stattdessen aber ergeben die in der Galerie Steinek unter dem Titel „Good Night, Mister Procrustes“ versammelten Werke eine ebenso erhellende wie unheimliche Erzählung der künstlerischen Auseinandersetzung mit den geistigen und körperlichen Zwängen gesellschaftlicher Strukturen. Der erste oberflächliche Blick beim Betreten der Galerie trifft auf eine Installation von Zipora Fried, die tatsächlich an das konzeptgebende Möbelstück „Bett“ erinnert: Die meterlange graue Papierrolle auf dem flachen weißen Podest ist das Ergebnis der quälenden Betätigung stundenlangen Bleistiftstriche-Zeichnens auf allen Vieren. Scheinbar beobachtet wird dieses papierene Prokrustesbett von den toten Augen eines abgeschnittenen Kopfes mit Jesusmaske – das synthetische „Dream Object“ des Amerikaners Jim Shaw ist eine Frucht seiner Träume, ebenso wie die polyphonen „Dream Drawings“ in Comicform, die er gleich nach dem Erwachen anfertigt. Die an der Nebenwand hängenden bronzenen Sterne-, Mond-, Frau- und Schweinformen der amerikanischen Bildhauerin Kiki Smith erscheinen eher wie versonnen-dekorierende Zugaben und bilden damit die schwächste Stelle der Ausstellung. Umso eindrucksvoller ist die davor stehende, anhand von Lederriemen ziehbare Gitterkonstruktion der kanadischen Künstlerin Jana Sterbak. Der Käfig auf Reisen, der im gedanklichen Sensorium ein Gefühl der Beklemmung hinterlässt, könnte auch Ausstellungsobjekt eines Foltermuseums sein. Der „Schlaf der Gerechten“ wird in der Ausstellung an anderer Stelle verortet und findet seinen Ausdruck in Francis Alÿs’ Diaserie „Sleepers“. Projiziert werden die Fotografien schlafender Obdachloser und Straßenhunde in der Galerie am Ende eines kleinen Treppenaufgangs. Die aus horizontaler Perspektive der Subjekte, auf Bodenebene aufgenommenen Fotos werden so über die Augenhöhe der BetrachterInnen emporgehoben und versetzen die der betonierten Realität Mexico Citys entrinnenden Obdachlosen quasi in einen Schwebezustand. Im zweiten Raum der Galerie eröffnet sich dann ein abrupter Einblick in den Abgrund chemisch induzierter menschlicher wie materieller Fluchtversuche. Das kristallene Material einer überdimensionierten, zerbrochenen Lexomil-Tablette der Pariserin Jeanne Susplugas wird als nutzloses Heilmittel der Papiermaschee-Skulptur eines ausgebrannten Hauses von Katrin Sigurdardottir angeboten. Das Haus ist Teil der Serie „Unbuilt“ – Fotografien und Entwürfe von unrealisiert gebliebenen Häusern aus den Jahren 1925 – 1930, welche die isländische Künstlerin modelliert, um sie anschließend auf verschiedene Arten zu zerstören und wiederaufzubauen. Ein Happy End wie in der griechischen Sage, in der Theseus den gemeinen Schmied schließlich besiegt, wird den Suchenden in der Ausstellung also nicht zuteil – wähnt man sich auf der anderen Seite, entpuppt sich das Prokrustesbett doch nur als nimmermüde Möbiusschleife.
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curated by_ Peter Stastny: Good Night, Mister Procrustes
03.10 - 08.11.2014

Galerie Steinek
1010 Wien, Eschenbachgasse 4
Tel: +431/512 87 59, Fax: +431/512 87 59
Email: galerie@steinek.at
http://www.galerie.steinek.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 13-18h
Sa: 11-15h


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