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Zerstreutes Sondieren

Die ars electronica 2014 Kaum begonnen. Fast schon wieder vorbei. Zunehmend schwieriger zu überblicken ist die ars electronica wegen ihres enormen Umfangs und der Zeit, die es einfach braucht, um sich auf der verzweigten Präsentationsfläche in mehreren Linzer Institutionen von Ideenwelt zu Ideenwelt zu hanteln. Zugleich stellt sich die alljährliche Frage, wie weit es dem Festival gelingen kann, sich weiterhin als relevante Plattform der elektronischen Kunst zu behaupten. Schließlich gelten algorithmisch basierte Verfahren längst als integrativer Bestandteil von Kunstformen, die per se nicht als Medienkunst rezipiert werden, was sich etwa in der Skulptur per 3D-Print manifestiert. Währenddessen finden sich kritische Debatten zu digital culture Themen wie »Kontrolle in der Online-Gesellschaft« genauso in der tagesaktuellen Berichterstattung. Die letzte transmediale in Berlin analysierte überhaupt gleich die Situation nach dem afterglow. critical digital culture Gar nicht so einfache Ausgangsbedingungen für die heuer unter dem Motto »Kunst als Katalysator« laufende ars electronica. Ihre zentrale Frage geht den Voraussetzungen nach, die notwendig sind, damit sich gesellschaftliche Innovation entfalten und Erneuerung wirksam werden kann. Und der Prix ars electronica–Jury und den KuratorInnen der Ausstellung ist Anerkennung dafür zu zollen, dass es stellenweise sehr pointiert gelang, gesellschaftskritische Tendenzen rauszuarbeiten und aktuelle Beobachtungen im divergenten Feld digitaler Kunstformen zusammenzufassen. Ein Signal setzt das mit einer Goldenen Nica ausgezeichnete Projekt »Loophole for all« von Paolo Cirio. Indem der italienische Künstler – größtenteils per Hacking – die virtuelle Existenz von rund 200 000 Firmen auf den bloß 260km2 umfassenden karibischen Cayman Islands offenlegt, macht er auf einen der weltweit größten Offshore Finanzplätze aufmerksam. Geschätzte 1.700 Milliarden Dollar sollen dort deponiert sein. Über Listen und Diagramme liefert der Künstler eine Darstellung der globalen Dimension der Steuerflucht. Cirio hat die Identität der registrierten Firmen geklaut und bietet diese nun mit ironischem Unterton auf seiner Website www.loophole4all.com zum Kauf an. Außerdem kann die Information über die Cayman Islands gleich zur Gründung eines eigenen, genauso nicht versteuerten, Karibik-Unternehmens genützt werden. Das Projekt könnte ebenso unter den Begriffen Recherche oder politische Kunst firmieren. Ebenfalls repräsentiert in der Cyberarts-Ausstellung im OÖ Kulturquartier und ebenfalls mit einer goldenen Nica – im Bereich der »Digital Communities« – ausgezeichnet wurde die japanische autonome Onlineplattform »Fumbaro«, die, an der Philosophie des strukturellen Konstruktivismus von Takeo Saijo orientiert, die Beschaffung individueller Hilfeleistungen für die in Opfer des Erdbebens 2011 im Osten Japans erleichtert. Auch die Plattform für zensurierte Musik »Freemuse« wird in diesem Kapitel porträtiert; oder das spanische Netzwerk »Montenoso«, das solche autonom agierende Initiativen im ländlichen Raum verbindet, die landwirtschaftliche Produkte im Kollektiv produzieren und vermarkten oder etwa Kompetenzen im Bereich sozialer Architektur anbieten. Gezeigt werden per Internet vernetzte NG-Initiativen und kritisch orientierte Sozial-Projekte. Angenehm und entgegenkommend die Darstellung über Schautafeln, anstatt per Computer zum durchclicken, wo man gewöhnlich die Orientierung verliert. Unterstützt wird die Vermittlung durch Videos des Sozialwissenschaftlers Ian Banerjee aus der Jury und Ingrid Fischer-Schreiber, die das Projekt der Digital Communities betreut. Zwar geht dies in die richtige Richtung, allerdings entsteht so auch eine merkwürdige Vereinheitlichung, weil zu jedem Projekt dieselben talking heads vor ähnlichem Hintergrund-Design auftreten. handmade und readymade art Bleibt man bei der Verortung aktueller Tendenzen, so lässt sich der nicht mehr ganz so neue Trend, Elektronik- und Maschinenbauteile entweder abgewrackt oder gerade noch verwendbar als Bauteile in neue Umgebungen zu transformieren, konstatieren. Aus der Perspektive von Maschinenkunst nicht soo neu, aus der Geschichte der bildenden Kunst natürlich auch nicht, und für den Bereich Sound ist das Buch »Handmade Music« von Nicholas Collins ist auch bereits 2006 erschienen. Jedenfalls proklamierte Hiroo Iwata von der japanischen Tsubuka-Universität 2004 die »Device Art«. Wie der in China lebende US-Künstler Scott Hessels darstellt, geht es auch um die Bedeutung der einzelnen Bauteile selbst. Na, ja, die Debatte, wie weit Technologie insbesondere im Digitalbereich ebenfalls als Kunst aufgefasst werden kann, das diskutieren wir seit eineinhalb Jahrzehnten. Eine Steigerungsstufe dessen liefert »Das Vergerät« des deutschen Boris Petrovsky. Per digitaler Animation können spielerisch diverse Küchengeräte wie in einem Baukasten zusammen gemorpht werden. Sinnlich, eigentlich geschmacklich – anwendbar wäre der »Food Simulator« des Japaners Hiroo Iwata mit olfaktorischen Display für Geschmacks- und Geruchsnerven. Etwas witziger dafür »Otomatone Digital & Jumbo« von Novmichi Tosa (JP). Wer noch nicht informiert ist: Otomatone, das ist ein elektronisches Musikinstrument; ein wenig wie ein Theremin, vom Design her allerdings wie eine Miniaturspielzeug-Sitar mit Smiley-Korpus. Eine neue Tamagotchi-Schreckensvision. Auch als – wirklich entbehrliche – App erhältlich. Anzunehmen, dass diese Trends sich durchsetzen. Was spricht gegen die weitere Kommerzialisierung des Alltags mit allen möglichen Digitalprodukten? Mal sehen, in auf welchen Pfaden wirklich starke künstlerische Konzepte zu finden sein werden. Bemerkenswert jedenfalls, dass gerade solche Werke anziehend wirken, die aus der etwas älteren Generation kommen. Sehr schön, fast sentimental romantisch wirkt etwa das fahrbare Miniaturkino auf einem Fahhrad »Sustainable Cinema No. 2: Lentiuclar Bicycle« von Scott Hessels (US). Faszination für und Erinnerung an das frühe Kino wird verbunden mit der Möglichkeit – oder zumindest der Vorstellung – das Ganze auch noch mit nachhaltig produzierter Energie ins Funktionieren zu bringen. Patchwork für Teilöffentlichkeiten Doch das ist die Sicht aus journalistisch konstruierter Vogelperspektive. Obwohl in Linz alles fußläufig erreichbar ist, blieb und bleibt es dennoch schwierig, die ars electronica als konsistent und in ihren Teilen zusammengehörig zu erfassen. Es gehört zur Natur des Festivals, dass es vor allem unterschiedliche Teilöffentlichkeiten erreicht. Noch mehr als sonst, war dies strukturell, räumlich bedingt, und weniger, wie noch in den Anfängen, durch elitäre Inhalte. Publikumsheuler war die Präsentation des »Future Innovators Summit«, wo junge UnternehmerInnen und soziale AktivistInnen zusammen kamen, nicht. Soziale Veränderung ist aber auch kein Mainstream-Thema; besonders in Zeiten zunehmend härterer Überlebenskämpfe, in denen sich Fundamentalismen viel eher durchsetzen, als eine Kultur kritischer Diskurse. So verzischt auch diese ars electronica wieder. Allerdings nicht in den digitalen Orkus. Genau im internet ist sie derzeit nämlich gut aufgehoben. Hier sind die einzelnen Projekte ausnehmend gut du ausführlich dokumentiert. Ist die ars electronica also endlich da angekommen, wohin sie einstmals aufgebrochen ist; nämlich in der virtuellen Welt? www.aec.at
Mehr Texte von Roland Schöny

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