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Farbe im Quadrat - Amish Quilts und James Turrell: Greifbares Licht mit Tagesdecke

Im Neuen Museum zu Nürnberg geht es extrem reduziert zu. Die Ausstellung "Farbe im Quadrat. Amish Quilts und James Turrell" wagt sich an eine zunächst einmal merkwürdig anmutende Kombination: Da sind einerseits die "Tagesdecken", so genannte Quilts, die aus Familien der religiösen Sekte der Amish People stammen. Andererseits zeugen vier Lichtkunstarbeiten und acht Grafiken von James Turrell von einer immateriellen Fülle, die jedoch ebenso wie die Rapporte der Decken aus Grundformen gebildet sind. Museumsleiterin Angelika Nollert, die am Eröffnungsabend offiziell nach München als neue Direktorin der Neuen Sammlung verabschiedet wurde, macht dem Besucher mit dieser Ausstellung ein stilles, aber intensives Denkgeschenk. Was also haben diese Gebrauchsgegenstände, 29 davon werden präsentiert, mit den Arbeiten von James Turrell gemein. Einerseits gibt es die programmatische Ausrichtung des Hauses, Design und bildende Kunst zusammen zu zeigen. Angelika Nollert begründet diese wagemutig erscheinende Konstellation: "Sicher fallen einem, wenn man die Quilts sieht, zuerst Josef Albers oder Op Art-Künstler wie Victor Vasarely ein, aber eine solche Zusammenstellung ist zu oberflächlich." Ihr kam es schlüssig vor, eine Verbindung über Spiritualität zu knüpfen. Der amerikanische Künstler, Jahrgang 1943, ist mit Lichtkunst und Land Art bekannt geworden. Er materialisiert förmlich das Licht. Und vielleicht ist noch eine Verbindungslinie vorhanden, denn Turrell entstammt einer streng religiösen Quäker-Familie. Die besten amischen Quilts entstanden zwischen 1870 und 1950 und wurden kurz danach von Sammlern entdeckt und in den Kunstmarkt eingeführt. Seitdem erlebten sie prominente Ausstellungen, etwa im New Yorker Whitney-Museum. Ins Ende des 19. Jahrhunderts datiert das älteste Stück der Ausstellung, "Center Diamond", zwischen 1885 und 1890 von Rebecca Lapp genäht. Es ist annähernd quadratisch und streng symmetrisch wie alle angelegt. Vier bordeauxrote Quadrate bilden die Ecken, und in ein weißes, dessen Eckpunkte wiederum dunklere Formen markieren, ist ein großes, auf einer Ecke stehendes Quadrat eingeschrieben. Letzteres ist der "Diamant". Alle Titel sind Hinweise auf das jeweilige Muster, heißen sie nun "Bars" (Balken) oder "Floating Diamond" (schwimmender Diamant). Zum Zeitpunkt der Entdeckung nach 1950 meinte man, dass das die erste ungegenständliche Kunst Amerikas sei. Aber mit der Kunst ist das so eine Sache. Reicht das bloße Zuschreiben durch Fachleute? Es gibt zum Beispiel keine Ikonografien. Die "Bars" hat man als Ackerfurchen gedeutet, das jedoch erst nachträglich. Corinna Rösner von der Neuen Sammlung München, bringt die Motivation der Amischen auf den Punkt: "Ein Ventil für Gestaltungslust." Schöpferisch zu sein, ist menschlich. Selbst wenn man "Jünger" von Jakob Ammann (1644-1730) ist, einem radikalen Schweizer Mennoniten, auf den die Gemeinde der Amischen zurückgeht. Diese Decken waren etwas Besonderes und nicht im Alltagsgebrauch. Hergestellt hat man sie aus industriell gefertigten Stoffen, die fahrende Händler in die Dörfer brachten. Geht man näher heran, sieht man filigrane Ornamente aus Nähten, hergestellt mit naturgemäß fußbetriebenen Maschinen. Nach 1950 wurden billigere, zum Teil vorgemusterte Tuche verwendet. Die große Zeit der Quilts war nun vorbei. James Turrell ist ein amerikanischer Licht- und Land Art-Künstler, dessen Schaffensbeginn in die 1960er Jahre datiert. Zu dieser Zeit dominierte der formale Reduktionismus der Minimal Art, so dass es nicht verwundert, dass damals die Quilts zumindest in New York sehr populär waren. In der Schau bilden sie den Rahmen für ein Gehäuse inmitten des Raums, das vier Lichtkunstarbeiten beherbergt. Neben frühen Werken, etwa "Afrum Red II (solid)" von 1970 ist ein "Magnatron" zu sehen. Diese Werkgruppe entstand zu Beginn der 2000er Jahre. Aus einer Aussparung in der Wand, deren Umriss an alte Kathodenstrahlfernseher erinnert, flimmert bläuliches Licht. Der Effekt ist seltsam: Einerseits ist nicht greifbar, ob sich die Lichtquelle hinter einer Scheibe befindet, andererseits pulsiert es, als ob es Materie wäre. Turrell, Künstler und Perfektionist, ein Wahrnehmungspsychologe, der zudem Mathematik, Geologie und Astronomie studierte, untersucht Zeit seines Lebens das Verhältnis von Licht zu Raum. Diese Arbeiten, ebenso wie die flankierenden Grafiken, verdeutlichen aufgrund ihrer extremen Konzentration das Konzept der gesamten Ausstellung. Die Schau, zu sehen bis zum 19. Oktober, lebt von der Spannung, dass einerseits das Wissen um die kunsthandwerklichen Hintergründe der Quilts ganz andere Fragen aufwirft, als man an die Kunst stellt, etwa nach der Geschichte der Objekte und ihrer Hersteller. Dennoch sind sie so klar, dass man nicht umhin kann, sie als Gegenstand einer Betrachtung einzuschätzen, die über die Faszination am Handwerk hinaus geht. Man braucht sich also gar nicht der müßigen Fragestellung nach Kunst oder Nicht-Kunst zu stellen. Andererseits erreichen die Arbeiten von Turrell einen Bereich der Wahrnehmung, der kontrollierte Grenzerfahrungen ermöglicht. Insofern ergänzen sich zwei vollkommen unterschiedliche Kulturerzeugnisse.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Farbe im Quadrat - Amish Quilts und James Turrell
18.07 - 19.10.2014

Neues Museum - Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg
90402 Nürnberg, Klarissenplatz
Tel: +49 911 240 200, Fax: +49 911 240 20 29
Email: info@nmn.de
http://www.nmn.de/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 h


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