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Neue Wege nichts zu tun: Stilvolle Verweigerung

In einer auf „Aktivität und Produktivität“ eingestellten Gegenwartsgesellschaft kann die erschreckende Vision des Nichtstuns viele in einen Zustand der Panik versetzen. Der Begriff der Langeweile und die romantische Sensibilität waren dem Amerika des 19. Jahrhunderts völlig fremd. Paradoxerweise schrieb Hermann Melville im Sommer 1853 gerade in dem Land der obsessiv Unternehmungslustigen - vor allem einem Gelderwerb nachgehend - die Erzählung „Bartleby, der Schreiber“, die immer noch widersprüchliche Interpretationen bei Literaturwissenschaftlern hervorruft. Der wortkarge, in einer Anwaltskanzlei arbeitende Kopist fällt in eine Stimmung der Isolation und hat auf alle Kontaktversuche aus der Umgebung nur eine lakonische Antwort parat: „Ich möchte lieber nicht“. Diesen aus dem Kontext gerissenen Satz nimmt die Kunsthalle Wien als Motto ihrer neuen Gruppenausstellung, in der KünstlerInnen im Zuge einer Verweigerungshaltung gegenüber der Gesellschaft verschiedene Formen der künstlerischen Passivität und einsilbigen Tautologie betreiben. Im Grunde ist das Phänomen des Nichtstuns zumindest seit den 60er Jahren vertraut, ergibt jedoch in der Ausstellung, in der mehrere Werke von 1974 bis 2014 zusammengefasst wurden, ein unerwartet aktuelles Statement über die heutige Kunstproduktion. Die älteste Arbeit der Ausstellung ist der Schwarzweißfilm Ein Man der schläft des Duos Georges Perec/Bernard Queysanne und erinnert an den französischen Nouvelle-Vague-Film. Sein Held, der junge Pariser Student, der beschließt, nicht weiter zu studieren, kann trotz dieser Entscheidung auf bisherige tägliche Rituale nicht verzichten und nimmt an ihnen ostentativ teilnahmslos teil. Repetitiv und poetisch ist auch der Film von Rivane Neuenschwander, obwohl anders: Eine von Wind verwehte Seifenblase wandert schwerelos durch die Gegend, reflektiert sie oberflächlich und platzt niemals vom Nichtstun. Sie trotzt unseren Erwartungen auf Mehrwert perfekt. Ryan Gander entfernt dagegen aus seinem Bild den Inhalt und präsentiert auf der weißen Großleinwand bloß abfotografierte Rahmen aus schwarzem Klebeband, die er vorher auf die Wand seines Ateliers geklebt hat. Der nachgestellte Effekt sieht reizvoll nach Nichts aus. Nicht aber alles was in dieser Ausstellung auf dem Boden liegt ist ganz unproduktiv. Von dem bereits verstorbenen Neoavantgardisten Robert Breer stammen geometrische Formen aus bemaltem Schaumstoff, die sich für das Auge kaum wahrnehmbar fortbewegen und damit die Illusion des Nichtstuns nur vortäuschen. Das stilvoll im Schwarzweiß arrangierte Ausstellungsdisplay erinnert an die Konzeptkunst und vermittelt die Vorstellung, dass in der Verweigerung, dem sogenannten Nichtstun durchaus Aktivität stecken kann.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Neue Wege nichts zu tun
27.06 - 12.10.2014

Kunsthalle Wien Museumsquartier
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521 89-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-19, Do 11-21 h


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