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Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Im Ö1-Morgenjournal haben Sie anlässlich einiger Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit dem Corona-Lockdown (speziell das Offenhalten von Kirchen und Moscheen im Gegensatz zu Museen, Theatern und Opernhäusern) ein wenig verächtlich gemeint, es seien (bloß?) „Kulturverliebte“, die die Schließung der Kulturstätten kritisieren würden.

Erlauben Sie mir, Ihr leicht verqueres Bild von der Bedeutung von Kunst und Kultur ein wenig zu korrigieren. Mir ist freilich klar, dass Sie nicht das einzige Regierungsmitglied sind, das mit Kunst und Kultur nichts am Hut hat; für das die Begeisterung für Kunst und Kultur eine Art Narretei ist, eine Marotte, die man nicht wirklich ernst nehmen müsse.

Und Sie haben natürlich vollkommen Recht: Es ist eine Narretei, einem Gegenstand – außer seinem Nützlichkeitswert – noch eine ganz andere Bedeutung zuzumessen. Aber diese Narretei hat uns die Sprache gebracht – Laute, denen wir eine gemeinsame Bedeutung zugebilligt haben. Diese Narretei hat uns die Schrift gebracht – Zeichen, denen wir eine gemeinsame Bedeutung zugebilligt haben. Diese Narretei hat uns Kultur beschert – Dinge, denen wir eine gemeinsame Bedeutung zugebilligt haben.

Menschen, die sich für Kunst und Kultur begeistern, sind jene Narren, die Kultur bewahren. Sie schätzen, was Dichter und Künstler geschaffen haben. Sie schätzen, was uns überhaupt erst zu Menschen macht: Denn die Schriftsprache und die Kunst sind die einzigen Fähigkeiten, die uns Menschen von jeder anderen Spezies auf diesem Planeten unterscheiden.

Mir ist allerdings auch klar, dass Sie das nicht sehr beeindrucken wird. Aber vielleicht: Dass im Kunst- und Kulturbereich mehr Menschen beschäftigt sind als in der Landwirtschaft. Dass wesentlich weniger Besucher aus aller Welt – und damit wesentlich weniger Geld – nach Wien und Salzburg und Bregenz kommen würden ohne die Narretei, die Museen, die Theater und Opernhäuser und die, die ihnen mit ihren Visionen Leben einhauchen, für wichtig zu halten.

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Abbildung: Foto © Andy Wenzel / BKA

Mehr Texte von Otto Hans Ressler

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