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Marcin Maciejowski - We are Awesome: Zahlt es sich aus, Abstand zu halten?

Wie reagieren Künstler*innen kreativ auf eine gravierende Gesundheitskrise inmitten der Praxis sozialer Distanz? Greifen sie nach anderen Inhalten oder innovativen formalen Lösungen? Diese Frage wurde schon in der Vergangenheit mehrfach gestellt. Und so schaffte Tizian in Vorahnung seines eigenen Todes in seinen 80ern als letztes Werk während eines Pandemie-Ausbruchs in Venedig die emotionsgeladenste Pietà (1576) aller Zeiten. Spiritualität und Tod beherrschten seine letzten Pinselstriche und damit die affektive Behandlung der Farben und des Lichts.

Obwohl die während der Corona Zeit gemalten Bilder von Marcin Maciejowski von Tizians Seelentragik weit entfernt sind, wirken auch seine Pinselstriche wesentlich leuchtender und räumlicher in ihren Verläufen und im Metrum als sie schon einmal waren.

Der Ausstellungstitel We are awesome, der sich wie der Globalsong We are the world anhört verwundert mit seinem Optimismus und spielt auf die in den sozialen Medien wuchernde „Kultur der Selbstverherrlichung“ an: lebensbejahend und mitunter sogar siegessicher wurde mittels Selfies und ähnliche Selbstinszenierungsfotos im Lockdown um die besten Bilder gekämpft: Wie man seinen Körper perfekt in Form hält, wie großzügig man frühstückt oder wie tröstend und aufbauend die emotionalen Relationen zu vierbeinigen Mitbewohnern sein können. Alles also nur eine charmante Unterhaltung, Anmaßung oder bewusster Eskapismus angesichts einer der größten Menschheitskrisen nach dem zweiten Weltkrieg?

Im Ausstellungstext gesteht der renommierte polnische Maler, der sich an den Höhen und Tiefen der zuletzt von Turbulenzen, Schließungen und staatlicher Reorganisation geplagten Krakauer Kunstszene kaum noch aktiv persönlich beteiligt, dass die Isolation für ihn so etwas wie eine Routine sei. Nichtsdestotrotz verursachte die neue, unsichere Situation ihm obgleich einiger positiven Impulse auch zuerst Schwierigkeiten, die richtigen, universellen Themen und Bildmotive für die Anforderungen dieses außergewöhnlichen Augenblicks zu finden. Schlussendlich saßen „die Fabelhaften“ und der Künstler in der Corona-Krise alle im gleichen Boot, so dass seine bisherige künstlerische Sonderstellung innerhalb der Gesellschaft ungewiss wurde.

Aus vielen Skizzen und Zeichnungen, die Maciejowski in der Isolation anfertigte, wurden im selektiven Verfahren einige zu Bildern: die diffuse, anormale Alltagsrealität schien dabei die Prägnanz affektiv-animalistischer Kräfte besonders zu beflügeln: In der Ausstellung bei Meyer Kainer sind besonders jene Gemälde hervorzuheben, in denen menschliche und tierische Akteure als zwei unterschiedliche Aggregatzustände des Seins in privaten Innenräumen oder im eigenem Garten, getrennt und zusammen, parallel auftreten, zumeist ihren Lieblingsbeschäftigungen autonom mit Fleiß und Lust nachgehend. Auch stilistisch sind die meisten Werke nur scheinbar homogen: Während der animalische oder auch pflanzliche Part dem malerischen Realismus huldigt, ist die Darstellung der menschlichen Figuren dem Diktum eines Animationsfilms verpflichtet. In dieser multiplen Atmosphäre der Dichotomie zwischen Spiritualität und Technologie, Bewegung und Stillstand scheinen auch die Geister wie Christian Dior gegenwärtig zu sein. Der moderne und visionäre Modemacher hat es dem Maler als sein symbolisches Alter Ego besonders angetan. Den beschwingten Dress-Code und neue Schönheitsideale braucht man jedenfalls unbedingt in solchen krisenhaften Zeiten wie diesen, um dem Antrieb und Ausdruck von systematischer Produktivität und Selbstoptimierung weiter die zugehörige Aufmerksamkeit zu verleihen.

Vollkommen unspektakulär findet man den Modeschöpfer im Hinterhof behaglich im Schaukelstuhl sitzend, umgeben von seinen vierbeinigen Freunden. Der angedeutete Moment künstlerischer Inspiration des Designers wird durch das Licht in der reduzierten Farbskala in einer Apotheose des schöpferischen Geistes offenbart, den Maciejowski hier bewusst zelebriert.

Widersprüchliches scheint gebannt, wie Hund und Katze in trauter Zweisamkeit. Die malerische Brillanz des Vortrags kontrastiert die Banalität des Motivs, wobei gesellschaftliche Determiniertheit des Dargestellten im Anzug als Anlass zur malerischen Bereicherung der subtilen Farbskala der changierenden Weiß- und Grüntöne genützt wird, sodass man hier das Metaphysische der Kunst als mögliche Antwort auf die Krise erkennen kann.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Marcin Maciejowski - We are Awesome
25.06 - 25.07.2020

Galerie Meyer Kainer
1010 Wien, Eschenbachgasse 9
Tel: +43 1 585 72 77, Fax: + 43 1 585727788
Email: contact@meyerkainer.com
http://www.meyerkainer.com
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-18, Sa 11-15h


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