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Gerlind Zeilner - Cowgirls: Atmosphären entlang der Blicklinien

„Es macht einen Unterschied, welche Gedanken Gedanken denken. Es macht einen Unterschied, welche Wissensformen Wissen wissen. Es macht einen Unterschied, welche Beziehungen Beziehungen schaffen. Es macht einen Unterschied, welche Welt Welten hervorbringen. Es macht einen Unterschied, welche Geschichten Geschichten erzählen.“, schreibt Donna Haraway in Tentakulär Denken. Anthropozän, Kapitalozän, Chthuluzän und zitiert darin Scott Gilbert: „Wir sind alle Flechten.“

Da das Sein vielmehr mit dem reinen Irrationalen gleichgesetzt werden kann, stellt sich die Frage nach dem Greifbaren, und in weiterer Folge nach dem Darstellbaren. Wir sind mit einer Welt konfrontiert, die keine mehr ist – außer an der Oberfläche, außer in dem, was sie gelegentlich hervorbringt. Gehen wir also davon aus, dass kontingent zu sein, in Wahrheit beinhaltet, nicht irgendetwas zu sein, sondern Figur. Und nehmen wir ein Schweben an und keinen Grund, und einen Raum, der sich als Fläche zeigt. Hier finden wir uns wieder, wenn wir ebendieses Dreidimensionale – die aktuelle von Sandro Droschl kuratierte Ausstellung „Cowgirls“ im Untergeschoss des Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien in Graz, mit Arbeiten von der in Wien lebenden Künstlerin Gerlind Zeilner – betreten, in denen sich Bilder einschreiben, die wiederum hinausweisen, in ein Vertrautes und nicht. Farbige Setzungen und Arrangements suggerieren eine Fremde, die keine ist. Eine Betrachtung des Alltäglichen scheint Grundlage, das Beobachten von Objekten auf psychophysischer Ebene ihre künstlerische Methode. Vermengt im eigenen Wahrnehmen wird dieser Prozess Formierung und Formulierung.

Zeilner entwirft auf Basis der Welt eine Schattenwelt, die viel Freiraum lässt für den Betrachtenden, den Beobachtenden. Sie führt vor und nimmt mit, aber nur ein kleines Stück. Im Raum erleben wir uns gleichzeitig in dessen Negation: Innen und Außen, Oben und Unten, Fläche und Raum und vice versa. Ihr abstrakter Realismus gleicht einem Rausch, die Buntheit ihrer Bilder vor grauem Grund wirken rätselhaft. Skizzenhaft wird Konkretes angedeutet, vieles im Vagen gelassen, wodurch ebendiese Ebene unserer Wahrnehmung in den Vordergrund rückt. Jene Weise des Welterlebens erscheint als der eigentliche Gegenstand ihrer Arbeiten und damit das Unfassbare, Undefinierbare, Ungewisse und der Zweifel an der Substanz des uns Umgebenden.

Zeilner schärft in und mit ihren Bildern die Varianz, Variabilität und Vulnerabilität aller Dinge, und erweist sich aus dieser Perspektive eher einem fantastischen Realismus verpflichtet, vor allem weil sie undeutlich wird in der Darstellung und damit der Verlässlichkeit, also Konsistenz beispielsweise des Lauch (2019) oder der Tür (2014) infrage stellt. In dem der Raum, in dem wir uns befinden, in dem wir gleich der Arbeiten an transparenten Fäden den Wänden vorangestellt von der Decke hängen, fällt es nicht leicht, die Balance zu halten. Grund dafür ist auch Zeilners „Anti-Palette“, wie sie Thomas Raab in seinem Text „Punk-Kalligrafie“ (Katalog zur Ausstellung) beschreibt. Diese besteht zu einem kleinen Teil aus Grundfarben bis hin zu mittleren Pastelltönen. „Ihrer tastenden, sich an Sujet und Bildbalance schrittweise annähernden Arbeitsweise entsprechend hat sich die Anti-Palette mit den Jahre aus der intuitiven Ablehnung kanonischer Paletten der modernen Malerei ergeben. Sie ist künstlich, wenn man Naturfarben als Maßstab nimmt. Anders als im Punk und bei davon beeinflussten KünstlerInnen wie Martin Kippenberger, Nicole Eisenman und anderen bad painters, (…) bleibt Zeilner der Beobachtung und der Konzentration auf die Erscheinungsformen der Dinge treu“, zitiert Raab Jurriaan Benschops (in: „Walking the Line“, erschienen im Ausstellungskatalog). Es wird beschrieben, dass Zeilners Malereien Beobachtungsskizzen vorausgehen, „die nicht aus dem Ausdrucksimpuls heraus entstehen, und damit dem Nihilismus des Punk durch Achtsamkeit und ein Herantasten an das Sujet ersetzt hat.“ Das bereits ausgeführte Motiv wird in einem längeren Arbeitsprozess gemäß der intuitiven Balance von Farbe, Sättigung und Form mehrschichtig nachgemalt und umgebaut, sodass Farbfelder, die, wenn man das Bild figurativ betrachtet, eigentlich Hintergrund sein müssten, malerisch zum Vordergrund werden.“

Die Ausstellung „Cowgirls“ (nach einer Arbeit aus dem Jahr 2016) präsentiert eine Auswahl (oder vielmehr Serie) an Zeilners Arbeiten, die zu einem großen Teil in den letzten beiden Jahren entstanden sind und eine intensive wie auch extensive Auseinandersetzung mit verschiedenen Schichten unserer Gegenwart zeigt. „Zeilner konzentriert also unsere Beobachtungsweise, indem sie bestimmte Aspekte weglässt und andere hervorhebt.“, beschreibt Benschop. Dabei gehe es Zeilner um die Reibung mit der Realität, um eine Sensibilität für Lichtverhältnisse und Bewegung, um kurze Striche und fragmentarische Darstellungsweisen, um eine dynamische Kompositionsmethode, die Benschop in der Tradition der Frühmodernisten und in deren Fragmentierung der Welt in kleine Teile verankert sieht, um diese schließlich neu zu formen. Sie entwickelt damit eine Architektur, als Folge eines Wechsels zwischen dynamischer Dichte und großformatiger Schlichtheit und schafft damit „Erinnerungs- und Wahrnehmungsbilder“ (Benschop), die ebenso (Un)Gleichgewichtsbilder sind. „Sind wir matt, so merken wir nicht, was geschieht. (…) Wir halten unser Leben nicht nur unmittelbar, sondern auch erinnernd zusammen.“, heißt es in „Spuren“ (1930) bei Ernst Bloch. „Die oft nur aus einem Wort bestehenden Werktitel benennen das Ausgangssujet des jeweiligen Bildes. Allerdings ist der Titel nicht unbedingt erklärend, sondern wird von Zeilner als Teil integraler Bildbestandteile verstanden. Die Titel geben dem Werk eine bestimmte Richtung; sie sind ein Hinweis, woraus es sich entwickelt hat.“ (Benschop) Dabei schafft sie durch die Farbgebung, Handschrift und malerische Geste Atmosphären, die das Publikum gleich den feinen Linien durch den Raum transportieren.

Mehr Texte von Bettina Landl

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Gerlind Zeilner - Cowgirls
04.07 - 08.10.2020

KM– Künstlerhaus Halle für Kunst & Medien
8010 Graz, Burgring 2
Tel: +43 316 740 084
Email: hd@km-k.at
http://www.km-k.at
Öffnungszeiten: Di-So11-17 h


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