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Schwere Pathetiker

Ein Mann im schweren Mantel steht vor einem Kreuz. Die Figur ist gedrungen, das Kreuz stumpf wie ein keltisches Feldzeichen. Die Falten sind gefurcht, der aufgeschlagene Kragen kringelt sich zum Bart, dahinter verschwindet der finstere Blick. Mürrisch wendet er sich zur Seite. Die Arme fallen senkrecht wie bei einer hölzernen Puppe, die verstümmelten Finger halten eine Schriftrolle an den Leib gepresst als wäre der Schreiber ein verbannter Prophet. Unter dem gekerbten Rock zeigen sich rundliche Knie und klobige Stiefel. Kaum unterscheiden sich Figur und Grund, Bild und Stock. Alles ist in einem schlammigen Braun, der Mantel, die Stiefel, das Kreuz, ja selbst das streng über der Stirn geteilte Haar. Dass der Mann am Kreuz lehnt, wird nur von der Seite her einsichtig. Aber auch dort bleibt der Wulst eines Gewandbauschs irrritierend. Aus dem Umriss tritt ein Auswuchs hervor; – ein gestutzter Engelsflügel, ein verletzter Komet? Es ist der einzige Teil, der nicht der Niedergeschlagenheit unterworfen ist. Aber auch der hölzerne Ballen öffnet sich wie eine stumpfe Morchel, ein Ausstoß, eine maligne Wucherung. Es ist unmöglich, nicht an die Kriegserfahrungen erinnert zu werden, an die Soldaten der Ersten Weltkriegs und die Zermürbung im Morast der Schützengräben. Antoine Bourdelle fertigt dieses Bildnis 1929. Im gleichen Jahr veröffentlicht Erich Maria Remarque »Im Westen nichts Neues«.

Die Skulptur heißt »Pathétique« oder »Beethoven à la Croix«. Wer denkt hier noch an eine Sonate und ihre Hauptsatzform? Wer noch an die Verherrlichung des Komponisten durch Klinger und Klimt? Bourdelle übernimmt das “Grave” von Beethoven als belastendes Material in die Skulptur. Der französische Bildhauer, der fünfzehn Jahre mit Rodin arbeitet, fertigt mehr als 80 Portraits des Komponisten an. »Beethoven am Kreuz« ist sein letztes Werk, ein »Herkules« sein bekanntestes. Im Skulpturenpark in Middelheim ist der griechische Held zu sehen, wie er mit aller Körperkraft den Bogen spannt. Er ist jugendlich, mitreißend und zielgerichtet. In dem Park gegenüber steht ein Guss des Lehrmeisters. Rodin setzt »Balzac« ein Denkmal, überlebensgroß, in eleganter Bewegung und stolzer Verve. Das Künstlerego feiert sich und seine Dissidenz vom schnöden Diesseits. Das war 1898. Danach fegt der Ungeist einer selbstverschuldeten Katastrophe über Europa. In der Zwischenkriegszeit werden Heroen fragwürdig. Beethoven ist ein säkularisierter Heiland doch bei weitem kein Erlöser.

Die Tristesse, die Bourdelle wählt, ist nicht Mahnung genug. Ein junger Künstler aus Deutschland besucht ihn in seinem Atelier. Er kommt wegen der Beethoven-Portraits. Er wird selbst Realist und berühmt werden, und wie sein Vorbild schwerer Pathetiker. Was dem Deutschen fremd wird, sind die verwundete Geste und ihre gotische Verdunkelung. Es ist Arno Breker, der wächserne Heldenverehrer und Leibapologetiker Adolf Hitlers.

Das Beethoven-Jahr beginnt heute am 17. Dezember 2019. Kaum jemand wurde so instrumentalisiert wie der Komponist und sein Werk. 

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Abbildung: Antoine Bourdelle, S/W-Fotografie von »La Pathétique«, 1929, Beethoven-Haus Bonn.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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