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Paweł Althamer - Cosmic Order: (Extra)terrestrial energies

Paweł Althamer (*1967) gilt als einer der unkonventionellen Begründer von kritischer Kunst und Institutionskritik in den 1990er Jahren in Polen. Mit seiner eigentümlichen sozial-partizipatorischen Kunstpraxis sowie der erweiterten Herangehensweise an skulpturale Repräsentation, die ihm weltweit viel Bewunderung, Erfolge, aber auch Einwände einbrachte errang der renommierte Künstler sorag den Ruf eines Schamanen oder Mystikers der Kunst. Die berühmteste seiner unzähligen Aktionen und gemeinschaftlichen Aktivitäten war die Anordnung einer Inschrift „2000“ aus Lichtern der Wohnungen eines Wohnblocks in seinem Heimatort Bródno oder die Reise mit „goldenen Menschen“, die gleichsam als Außerirdische in Brüssel oder Minsk landeten.

Althamer zufolge basiert Kunst auf kollektivem Engagement und der Körper alias Kostüm sei ein Schutzschild für den Geist. Der Künstler sieht in jedem Menschen Bruder und Schwester bzw. er bezeichnet, wie derzeit im Lentos seine gemeinschaftlichen bildhauerischen Handlungen als Akte der „friendly energies“. Klingt ziemlich utopisch? Mitnichten oder nur nebensächlich bei diesem einmaligen Performer. Die von ihm kreierten Situationen von intendierter kosmischer Reichweite wollen vorerst die Aufmerksamkeit auf die umgebende Realität lenken, um sie "hier und jetzt" zu erfahren und diese herauszufordern.

Diese individuellen Wirklichkeiten/Wahrheiten treffen auf Kunstinstitutionen, die seinen performativen Handlungen eine Bühne bieten und die jedes Mal einige exzeptionelle Leistungen (auch mit sozialpolitischem Anklang) zu bewältigen haben. In seiner Show Cosmic Order im Lentos ging es u.a. darum, das Visum für den an dem Projekt beteiligten Bildhauer Youssouf Dara (*1978, Mali) zu beschaffen. Dara ist Repräsentant der westafrikanischen Dogon-Kultur, die Althamer wegen ihrer angeblichen Abstammung von Außerirdischen und ihren kosmologisch-religiösen Vorstellungen fasziniert und die durch gewalttätige Auseinandersetzungen mit Islamisten zunehmend in ihrer Existenz bedroht wird.

Cosmic Order ist nicht der erste Auftritt Althamers in Linz. Eine Probe seiner komplexen sozialen und psychologischen Fähigkeiten und eigenen Netzwerke zeigte er bereits 2001 in dem Projekt Dialog III, Re:lokation im OK Zentrum. Damals stellte er die polnische Gemeinschaft der Stadt Linz ins Licht der Öffentlichkeit und damit die nach wie vor wichtigen gegenwärtigen Themen der Ausgrenzung und Kontrolle von Minderheiten offen angesprochen.

Der Künstler, der die Grenzen zwischen Utopie und Dystopie, Paradies und Katastrophe, Gestern und Heute magisch verwischt, träumt seit seiner Studienzeit davon, selbst exterritorial zu sein. Im aktuellen Projekt im Lentos, in dem er wie schon des öfteren anstatt moderner Technologien traditionelle Holzschnitzkunst, goldene Wandmalereien und als Materialien 30 Tonnen Lehmboden, beachtliche Mengen Holz und an halluzinogene Pilze erinnernde, getrocknete Pflanzenteile zu Wort kommen lässt, verwirklicht er seine Vision durch die kollektive und prozesshafte Gestaltung einer aufeinander abgestimmten, farblich eintönigen und nichtsdestoweniger beunruhigenden Landschaft. Diese breitet sich auf drei voneinander getrennten Grundrissen aus, welche die Grenzlinien von Mali, Österreich und Polen grob andeuten. Die provisorische, dennoch entschiedene Bildfindung mit ihrem Ineinander von persönlichen und historischen Narrativen rückt die ganze Inszenierung in die Nähe jener Welten, die in den 1970er Jahren „Individuelle Mythologien“ genannt wurden, obwohl sie in diesem Fall kollektiv und interkulturell konzipiert und ausgeführt werden. Den Höhenpunkt bildet die mittlere „Insel“, die die Dogon-Kultur in Mali ins Visier nimmt. Zwischen den nachgestellten Felsen von Bandiagara und einer noch nicht vollständig vollendeten Frauenholzskulptur mit daneben scheinbar achtlos liegen gelassenen Werkzeugen ragen vier Karyatiden eines maroden Tempelrestes über die Köpfe der Besucher*innen. Die übergroßen Frauenfiguren wirken wie Denkmale für klischeehafte Rollenbilder von Weiblichkeit, gleichsam Symbole des Leidens und Überlebenskampfs, des Verlustes und der stillen Aufopferung. Gleichzeitig könnte ihre herausgestellte Präsenz eine Geste des Befriedens und der Einigung zwischen Vergangenheit und Gegenwart bedeuten. 

Die Dogon leben heute noch in archaisch anmutenden Dorfgemeinschaften wo sie ihre alten Riten und Gesetze praktizieren. Die Flucht des Althamer-Teams in diese nicht-westliche Kultur könnte auch als ein Versuch gesehen werden, etwas Positives gegen die momentane apokalyptische Stimmungsmache zu setzen. Es sind gerade diese frühen Kulturen, die uns sagen können, wie wir einige unserer aktuellen Probleme lösen könnten – nachhaltige Landwirtschaft zum Beispiel, oder wie man achtsame Beziehungen zu Anderen pflegt und weitere existentielle Grundvoraussetzungen schafft. An den kollektiven Prozessen, die Althamer im Lentos anstoßen will, wird im Rahmen der Ausstellung auch noch weiter gearbeitet.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Paweł Althamer - Cosmic Order
07.02 - 17.05.2020

Lentos Kunstmuseum Linz
4020 Linz, Ernst-Koref-Promendade 1
Tel: +43 70 7070 36 00
Email: info@lentos.at
http://www.lentos.at
Öffnungszeiten: täglich außer Mo 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr


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