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Hito Steyerl: Aggressive Algorithmen

Man öffnet die Tür und steht direkt vor der Videoinstallation „This is the Future“, 2019. Auf einer großen Leinwand zeigt Hito Steyerl, wie eine Frau einen ominösen Garten sucht, der in der Zukunft versteckt ist. Als wäre man mitten in einem postmodernen Computerspiel bewegt man sich mit der Frau durch die Szenerie, begleitet sie z. B. durch das Stadtbild von Venedig. Vorhersagen, generiert durch künstliche Intelligenz, sollen der Frau bei ihrer Suche helfen, doch warnend steht da dann prompt zu lesen, das die Prognosen des „the network“ nicht zu stimmen haben. Plötzlich wird die Leinwand transparent und man sieht auf die 8-Kanal-Installation „Power Plants“, 2019, die im hinteren Teil des Raumes aufgebaut ist. Die Arbeit, die dieses Jahr bereits auf der Venedig Biennale und in der Londoner Serpentine Galerie zu sehen war, stellt Bilder von digital generierten Pflanzen vor. Entworfen wurden die prognostizierten Pflanzen von „intelligenten“ Computersystemen mit neuronalen Netzen, die in der Lage sind, mit Hilfe das jeweils nächsten Bilds so etwas wie Zukunft vorherzusagen – oder gar vorherzubestimmen? Den Monitoren der Installation sind zudem diverse Texte beigeordnet, „Vorsicht, Fiktion!“ etwa ist dort zu lesen, oder: „Gierst du nach Likes?“ und „Diese Pflanzen existieren derzeit nicht, sondern werden von KI vorhergesagt“. Nach einer kurzen Zeit schließt sich die Leinwand dann aber wieder und der Film von „This is the Future“ wird fortgesetzt, u.a. mit dem Statement „But as the future was predicted, the present became unpredictable“.

Geht man schließlich um die Leinwand herum, so gelangt man zu der auf drei Bildflächen präsentierten Lecture Performance „MISSION ACCOMPLISHED: BELANCIEGE“, 2019. Gemeinsam mit den Künstlern Giorgi Gago Gagoshihzide und Milos Trakilovic hat Steyerl hier einen mit diversen Bildern, Videos und Musik unterfütterten Vortag konzipiert, der die politischen Veränderungen vor allem in Europa nach dem „wind of change“ (Scorpions) - selbstverständlich ist der Song da zu hören - des Mauerfalls 1989 reflektiert. U. a. am Beispiel des Luxuslabels „Balenciaga“ wird hier den Verknüpfungen von Konsum- und Protestverhalten, von Identitätspolitiken und nationalistischem Rechtsruck nachgespürt. Bilder von Modenschauen sind ebenso in den Vortrag eingebaut wie solche von politischen Demonstrationen z. B.. Symbolträchtig ist da ein Foto, das die weltweit erfolgreiche „Instergramerin“ Kim Kardashian Seite an Seite mit US-Präsident Trump im Weißen Haus zeigt. Dass „fashion data“, eingespeist in „weaponized algorithm“, längst in der Lage sind, nachhaltig unsere Wahrnehmung zu „unterminieren“ und damit auch unser politisches Handeln (beinahe unmerklich) beeinflussen können, ist dann auch eine Hauptthese dieser speziell für diese Ausstellung entstandenen Lecture Performance. Unbedingt anschauen und mitdenken!

Mehr Texte von Raimar Stange

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Hito Steyerl
23.11.2019 - 26.01.2020

n.b.k. Neuer Berliner Kunstverein
10115 Berlin, Chausseestr. 128/129
Tel: +49 (0)30 280 70 20, Fax: +49 (0)30 280 70 19
Email: nbk@nbk.org
http://www.nbk.org
Öffnungszeiten: Di - Fr 12 - 18 Sa + So 14 - 18 h


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