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Bauhaus als Ruine und Denkfigur

Anlässlich des 100-jährigen Bauhausjubiläums setzen sich eine Reihe von Veranstaltungen investigativ, kritisch bis emphatisch mit dem bekannten (Welt)Erbe dieser geopolitisch nahezu global angelegten, auf die Verbesserung der Lebensqualitäten und ihrer Gestaltungsmöglichkeiten orientierten modernen Bewegung mit den Schwerpunkten Bau, Kunst, Handwerk und Lehre auseinander. 

Die Stadt Dessau-Roßlau, in der das Bauhaus dank der Unterstützung von progressiver Industrie und Politik seine sozialutopischen Konzepte in den Jahren 1925 -1932 (zwischen Weimar und Berlin als Standorte) entfalten konnte, beherbergt derzeit das Werkleitz Festival 2019 - unter dem Motto Modell und Ruine

Das Highlight des Festivals bildet ein Open-Air Ausstellungsparcours, der zwischen dem klassizistischen Georgengarten (18. Jhdt) mit seinem Herzoglichen Mausoleum (19. Jhdt) und dem klassisch-modernen Architekturensemble der neu rekonstruierten bzw. sanierten Meisterhäuser (1925/26) verläuft. Das Motto ist inspiriert durch das Spannungsverhältnis von Modell und Ruine, welche sich in Dessau unmittelbar gegenüber stehen als wären sie zwei Seiten einer Medaille. „Beiden (Begrifflichkeiten) wohnt etwas Unfertiges, Artifizielles inne und beide unterhalten eine Beziehung zu ihrer Gegenwart: Das Modell als Vorbild für eine zu schaffende Zukunft, die Ruine als Zeugnis einer meist idealisierten Vergangenheit“ - diese Erklärung ist dem Konzept der Kuratoren Daniel Herrmann & Alexander Klose zu entnehmen. Weiters geht es darum, den Mythos eines radikalen Neuanfangs im Sinne der Bauhaus-Moderne im Kontext der Stichworte wie Globalisierung, Kolonialismus sowie touristischer Blick zu hinterfragen und neu zu bewerten. 

13 künstlerische, durchgehend bekannte internationale Positionen und zumeist neu produzierte installative Arbeiten kann man entspannt spazierend durch den Schlosspark entdecken. Gleich am Beginn der Route trifft man auf ein „unheimliches Etwas“. Es ist von geometrischer, selektiver Reinheit und Schnörkellosigkeit, eine Fehlstelle, die assoziativ einen Bogen spannt zu den romantischen Ruinen. Auf einer kleinen Wiese erhebt sich eine übergroße frei stehende grüne Leinwand (Greenscreen), die zu schnellen Selfies und anderen Fotoshootings gleichsam verführt. Die Arbeit Common Ground von Aram Bartholl, dem Teilnehmer der Skulptur Projekte Münster 2017 und Viennabiennale 2019 vermischt die (analoge) Realität mit (digitaler) Fiktion, öffentlich mit privat, wobei der Künstler das Grüne der Natur nicht wie in der Filmindustrie als bloße Kulisse benutzt, sondern als das eigentliche künstlerische Material. Damit pocht er auf die Wirkmacht der Kunst in Krisenzeiten. Im naheliegenden „Fremdenhaus“, das ursprünglich für Gäste der Herrscher von Anhalt-Dessau erbaut worden war, unternimmt der deutsch-französische Maler Romain Löser eine Intervention diskursiv-kritischer Art. Von außen hat Löser alle Öffnungen des Hauses in Anspielung an die moderne Vorhangfassade des Bauhauses mit seinen standardisierten Bauelementen mit schwarzen, geometrischen Zubauten skulptural versperrt. Im Inneren dagegen nimmt der moderne Regulierungswahn die Form von grünen, standardisierten Ladekisten aus Kunststoff an, die für effiziente und reibungslose Wirtschaftskreisläufe eine optimale Lösung abgeben und dabei aber trotzdem umweltbelastend sind. Neben gestapelten Kisten als modellhafte Bausteine der Zukunft befinden sich in schwach beleuchteten Räumen auch abstrakt anmutende Farbfelderbilder. Diese Malereien sind, anders als in der Moderne, nicht von spirituell-transzendentalem Spin, sondern nach Gesetzen der Logistik als einem Relikt moderner Zeiten emphatisch nachempfunden - für das Anthropozän. Insgesamt ist dies eine der umfassenderen Arbeiten der Ausstellung, die viele Referenzen und kritische Einwände aufweist. Auch die Künstlerin Rosa Barba entschied sich in ihrer Intervention für ein historisches Gebäude – das 1985 erbaute „Vasenhaus“. Sie fügte eine imaginäre Architektur auf dem Dach hinzu - eine offene, bewegte und zeichenhafte Stahlkonstruktion mit Elementen der Filmprojektion und einer Tonspur, die sich je nach Witterung und Tageszeit verändert. Bedeutungen sind fließend und flüchtig, wechseln zwischen Affirmation und Bedrohung. Ein österreichischer Beitrag stammt von Nikolaus Gansterer, Künstler und Researcher und Teilnehmer an der diesjährigen Sharjah Biennale. Mitten in der historischen Parklandschaft hat er Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit gleichzeitig visualisiert als postromantisierendes Bild einer Naturkatastrophe „in Echtzeit“. Die Natur modelliert er quasi zur Ruine, indem er eine rechteckige Zone im Wald mit Schlammfarbe besprüht, als Spuren einer sich zyklisch wiederholenden Überschwemmung. In einer zweiten, akustischen Intervention ertönt in zufälligen Abständen wie aus dem Off ein beunruhigendes Geräusch, möglicherweise von wilden Tieren. 

Im Meisterhaus Feininger agiert unter anderem die Zypriotin Haris Epaminonda, die bei Biennale von Venedig den Silbernen Löwe erhielt. Die Raumfolgen des Meisterhauses nutzend, verwirklicht sie hier ihre Idee einer „unsichtbaren Skulptur“ in einem mehrdimensionalen Raum-Zeit-Gebilde. Ihre all over Skulptur - verstreut über das ganze Gebäude - besteht diesmal aus Textilcollagen (Webstoffe mit Mustern, die von den Entwürfen der Bauhaus-Textilwerkstätten inspiriert sind), Performance und einer Soundkomposition. Epaminondas Arbeit ist auch eine Hommage an die in der Geschichte des Bauhauses oft zu wenig beachteten Rolle der Künstlerinnen. 

Diese und die anderen bemerkenswerten künstlerischen Beiträge bei Modell und Ruine zeigen deutlich, dass das Bauhaus und seine Ideen Vergangenheit sind. Trotzdem wäre ohne diese in ihrer Hybridität und Aneignungslust radikale Bewegung, die nicht nur für Deutschland ein Synonym der Modernität darstellt, heute vieles nicht möglich. In der Rolle als Denkfigur hat das Bauhaus mit diesem opulent gefeierten Jubiläum eine neue Phase betreten, die außer neue Tourismusströme und Postkarten auch alternative Visionen beisteuert. 

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Werkleitz Festival
Modell & Ruine
25. Mai bis 10. Juni 2019
Dessau
--> modell-und-ruine.werkleitz.de

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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