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Überschwappende Malerei und Subjektivitätserkundungen zwischen Exzess und Kriegserfahrung

– ein Wochenende in Berlins Galerien

Am letzten Aprilwochenende standen nicht nur die Türen der 45 offiziell am Gallery Weekend Berlin teilnehmenden Galerien offen – auch abseits der Stadtkarte des Events gab es einiges zu entdecken. Galerien wie beispielsweise jene von Tanja Wagner und Dorothée Nilsson boten hierbei eine gute Alternative zu dem vornehmlich von männlichen Positionen dominierten Programm des Rundgangs.

Der Streifzug beginnt am Schöneberger Ufer. Barbara Wien zeigt hier Werke des bedeutenden, jedoch in Deutschland weitestgehend unbekannten Künstlers, Theoretikers und Kurators Kim Yong-Ik (*1947 in Seoul), der als stiller Rebell der koreanischen Kunstwelt gilt. Schüler des Malers Park Seo-Bo, der die Dansaekhwa-Bewegung, das Korean Monochrome Painting, mitbegründete, wehrte Kim sich früh gegen die Zuschreibung seiner Werke zu dieser oder anderen Richtungen der koreanischen Kunst und schlug seinen eigenen Weg ein. Anstatt seine Malerei weiterhin wie gewöhnlich auf Leinwänden entstehen zu lassen, konzipierte er seine Plane Objects (1974–81): Sparsam mit Sprühfarbe behandelte Leinwände, die er lose an die Wand hängte. Die Faltspuren der sich teilweise überlappenden Tücher übersetzen das Flächige der Leinwand in ein dreidimensionales Objekt.

Als Kim 1981 die Einladung erhielt, die Plane Objects in der 1st Young Artists Exhibition im National Museum of Modern and Contemporary Art in Seoul zu zeigen, verpackte er die Tücher in Kartons, beschriftete diese und stellte die verschlossenen Kisten aus. Das Werk, das als Statement gegen die soziale Unterdrückung in der Militärdiktatur Südkoreas gilt, ging später verloren. This is not the answer, Kims erste Ausstellung in Deutschland, zeigt eine Rekonstruktion dieses Schlüsselwerks von 2011. Auch zu sehen sind Bilder seiner Serie Closer… Come Closer aus den 90er Jahren. Hierfür setzte er die Leinwände solange der Witterung aus, bis diese ihre Spuren hinterlassen hatte und der schmutzige Hintergrund einen Kontrast zu der Perfektion und Regelmäßigkeit der Punkte darstellte.
Die Ausstellung This is not the answer ist eine spannende Begegnung mit dem Werk eines der Pioniere der Konzeptkunst in Südkorea.

Am anderen Ende der Gallery Weekend-Landkarte ziehen bei Peres Projects die großformatigen Malereien der Künstlerin Beth Letain (*1976 in Kanada) in ihren Bann. Letain kombiniert Farben, so kräftig, dass es den Anschein macht, die Formen, die sie annehmen, seien dazu da, sie zu bändigen. Die Farben werden hier zu beinah objekthaften Bild-Bausteinen, die zu Stapeln angeordnet werden wie in Parhelion (2019) oder zu aufeinander abgestellten Quadraten wie in Antidote (2019). In Eine Geschichte (2019) pulsieren blaue und rote Streifen, dehnen sich aus und ziehen sich zusammen, während das Auge rastlos über die Bildoberfläche wandert.

Wo die Arbeiten monochrom bleiben entwickeln sie geradezu einen Sog, ziehen die Betrachterin in ihren Bildraum hinein – in der rosafarbenen Farblandschaft von Dayfall (2019) würde es nicht wundern, wenn sich eine der breiten Pinselspuren auf einmal zurückschieben würde und den Weg auf ein unendliches Dahinter freigäbe. So erzählt das Gemälde eine wilde Geschichte, ein grelles Märchen ohne Worte.

Gleichzeitig vollzieht die Arbeit eine zu dieser Anziehung gegenteilige Bewegung: Die Farbwellen schwappen über den Bildrand hinaus, tauchen die weißen Wände des Galerieraums in ein dem Rosa komplementäres Grün und erzeugen ein vergängliches Bild der Umgebung, das in keiner Fotografie festgehalten werden kann. Beth Letain macht ihre Beschäftigung mit der Arbeit des Blicks für die Betrachterin spürbar, ihre Werke lassen hierbei den sie umgebenden Raum zurücktreten, so dass sie wie im Nichts schwebende Farb- und Formengebilde erscheinen.

Als einnehmend lässt sich auch die Präsentation der Multimediakünstlerin Raphaela Vogel (*1988 in Nürnberg) bei BQ bezeichnen. Die Installation Vogelspinne ist eine Begehung innerer Zustände.

Die titelgebende Kreatur lauert in einem an den Eingangsraum angrenzenden, aber von hier nicht einsehbarem Zimmer. Die riesige Arachnida, „archetypisches Angstsymbol“ und Symbol für „misogyne Vorstellungen einer destruktiv-bipolaren Weiblichkeit“, ist gerade im Begriff sich zu häuten; die weiße Hülle hängt noch an ihren langen grün-schwarzen Beinen.

Im vorderen Raum dominiert eine Stahlrohrskulptur, die ebenfalls an die Beine einer Spinne erinnern. An der deckenhohen Konstruktion kleben helle Hundehaare – sind dies die Haare des Pudels, der auch in der Videoarbeit A Woman’s Sports Car (2018) einen Auftritt hat? Ist er dem technoiden Wesen zum Opfer gefallen, das hier in den Ausstellungsraum gebannt wurde und sich anscheinend nicht nur von den Ängsten der Künstlerin zu ernähren scheint? Der Körper dieses Wesens besteht aus einem Flachbildschirm, auf dem sich die von einer Drohne aufgenommenen filmischen Bilder ineinanderschieben und auseinanderdrehen. In rosafarbenem Kleid steht die Künstlerin akkordeonspielend auf einem Felsen, der von heftigen Wellen umspült wird. Die irren Bewegungen des Films erzeugen Schwindel, Unbehagen. Unterstützt werden diese Reaktionen durch die laute Soundcollage, in der Vogel verschiedene Versatzstücke vergangener Videoarbeiten mit gefundenem Material kombiniert: eine freie Klavierimprovision der Künstlerin, Schreie aus ihrer Arbeit „Prokon“ (2004), das Lied „Ich hab‘ keine Angst“ der Schlagersängerin Milva (1981) und von Edith Clever vorgetragene Stellen aus Heinrich von Kleists „Prinz von Homburg“. Sound und Bilder verdichten sich zu einem veräußerlichten Zustand innerer Unruhe, zu einem Installation gewordenem Fiebertraum.
Nicht weniger beunruhigend ist eine weitere raumfüllende Stahlrohr-Installation im hinteren Bereich der Galerie, in deren Mitte zahlreiche Puppen in einem gruseligen Knäuel aufgehängt sind. Am Eingang zu diesem Raum hängen weiße Kreaturen von der Decke, Polyurethan-Elastomer-Güsse von Urinalen. Vogel baut diese Elemente als Platzhalter für festgelegte Rollenzuschreibungen in ihre Arbeiten ein und nimmt die Betrachterin mit auf die Forschungsreise nach Innen, in die dunklen Bereiche des Subjektiven.  

Ebenfalls eine Erkundung der Subjektivität findet in der Ausstellung We come with a bow der bosnischen Künstlerin Šejla Kamerić (*1976 in Sarajevo) in der Galerie Tanja Wagner statt. Hier wird jedoch nichts nach draußen geschrien, werden keine großen Gesten aufgefahren. Dem Lauten und Beängstigenden begegnet Kamerić mit ruhigen Motiven, wobei das Dunkle aber untergründig in den Arbeiten schwelt. Kamerićs Jugend fällt zusammen mit dem Bosnienkrieg und der vier Jahre dauernden Belagerung Sarajevos, ergo mit Gewalt, Tod, Angst und täglichem Überlebenskampf. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit diesen Themen ebenso wie mit postkapitalistischen Diskursen und mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft.

„Kunst zum Ziel der Selbstidentifizierung ist ausschlaggebend in meiner Arbeitsweise. Sie navigiert mein Verständnis von dem, wer wir sind, und hilft mir zu erforschen wie sich die Gesellschaft in uns wiederspiegelt“, beschreibt die Künstlerin ihre Arbeitsweise. In We come with a bow zeigt sie erstmals Bilder aus ihrer Jugend, „der schwersten und brutalsten Zeit“ ihres Lebens. Behind The Scenes I (2019) ist eine schwarz-weiß-Fotografie, auf der die Jugendliche Kamerić in modischem Outfit – durchsichtiges, bauchfreies Top, enge Hose – und lässiger Haltung vor dem Hintergrund einer Hausmauer posiert. Mit einem Fuß steht sie auf einem Gewehr. Behind The Scenes II (2019) zeigt sie im Arm eines jungen Mannes, der mit seiner rechten Hand ein Gewehr hält, als handelte es sich hierbei um eine Handtasche oder eine Flasche Bier. Aufgenommen wurden die Fotografien 1994 von Hannes M. Schlick für das Magazin MODA Italy. Die Waffen und die Inszenierung der beiden jungen Menschen befinden sich auf einem Bild, stehen in Beziehung zueinander und fallen doch auseinander. In diesem Widerspruch der beiden Motive deutet sich die Absurdität, die Unvereinbarkeit des Krieges mit dem Leben eines heranwachsenden, seine Identität erkundenden Menschen an.

Die Identitätssuche junger Teenager ist auch in der Ausstellung Girls – A Female Gaze in der Dorothée Nilsson Gallery Thema. Die Künstlerin Julia Peirone (*1973 in Argentinien) untersucht in ihren Arbeiten den Umgang junger Frauen mit den vorherrschenden Schönheitsidealen und konzentriert sich hierbei insbesondere auf Gefühle wie Scham und Verwundbarkeit. Das Video Twisted Cherry entstand während eines Castingverfahrens und hält kleine Gesten jugendlicher Unsicherheit fest: In dem Versuch, die eigene Haut um einen Zentimeter mehr zu bedecken, wird ein knappes Röckchen zurechtgezupft, Hände werden nervös geknetet und das Tragen der Highheels gerät zu einem Balanceakt, der die Mädchen immer wieder in die Knie zwingt. Wiederholtes Aufstehen und Hinfallen bis die Mädchen sich entscheiden, die hochhakigen Schuhe auszuziehen. Ein kleiner, in diesem Moment doch entscheidender Akt, der Ruhe in die aufgeregten Körper der jungen Frauen einkehren lässt. Ohne die Abgebildeten bloßzustellen oder sie einem voyeuristischen Blick auszusetzen, verdeutlichen Peirones Arbeiten die Anstrengung der Protagonistinnen, sich zwischen den medial angebotenen Repräsentationen, den gesellschaftlichen Zuschreibungen und dem selbst definiertem Bild zurechtzufinden.

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Barbara Wien: Kim Yong-Ik, This is not the answer
27.4.–27.7.2019
Schöneberger Ufer 65
10785 Berlin
http://www.barbarawien.de

Peres Projects: Beth Letain, utrapath
26.4.–21.6.2019
Karl-Marx-Allee 82
10243 Berlin
https://peresprojects.com

BQ: Raphaela Vogel, Vogelspinne
27.4.–6.7.2019
Weydingerstraße 10
10178 Berlin
http://www.bqberlin.de/BQ-Berlin.html

Galerie Tanja Wagner: Šejla Kamerić, We come with a bow
26.4.–15.6.2019
Pohlstraße 64
10785 Berlin
https://tanjawagner.com

Dorothée Nilsson Gallery: Julia Peirone, Girls – A Female Gaze
27.4.–29.6.2019
Potsdamer Straße 65
10785 Berlin
https://www.dorotheenilsson.com

Mehr Texte von Ferial Nadja Karrasch

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