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Nikita Kadan - Project of Ruins: Im Land der grauen Blöcke

Drei mannshohe Betonkolosse, dramatisch beleuchtet, geometrisch zerfurchte Blöcke, die bis knapp unter die Decke des Ausstellungsraums ragen. Ein Bühnenbild für ein konstruktivistisches Ballett, möchte man meinen – und liegt damit gar nicht so falsch. Denn die drei stummen Ungetüme sind Nachbildungen von sowjetischen Betonsockeln, die Nikita Kadan hier in den Mittelpunkt seiner „Project of Ruins“ genannten Ausstellung im Untergeschoß des mumok stellt.

Kadan (*1982), einer der derzeit gefragtesten ukraninischen Künstler seiner Generation, verweist damit auf den entfesselten Bildersturm, der derzeit in seiner Heimat tobt. Denn auf die russische Annexion der Krim reagierte die Ukraine unter Präsident Poroschenko mit einer politisch veordneten Abgrenzung zu Russland, die 2015 in den „Dekommunisierungsgesetzen“ mündeten: Nicht nur Ortschaften mit sowjetisch klingenden Namen wurden daraufhin umbenannt – über 1.000 Lenin-Statuen und andere Symbole russischer Hegemonie fielen im Wochentakt, worauf die teils übergroßen Betonsockel in Städten, Dörfern und auf Autobahnmittelstreifen nach und nach ihre Funktion verloren.

Es ist nun eine so eindrucksvolle wie ästhetisch ansprechende Übung, die Kadan mit den drei kubistisch zerklüfteten Stumpen im Ausstellungsraum da abliefert, angereichert durch auf Stoff gedruckte Bilder eines Kriegsdenkmals und von Kadan selbst aufgenommenen Ruinenfotografien aus dem Donbass. Allerdings eine Übung, die ohne Hintergrundinformation nur schwer zu deuten ist: Wie immer bei Kadan ist es ein dichtes Netz aus historischen und aktuellen Bezügen, das er spannt, wie immer liegt der ästhetischen Abstraktion seiner Werke tiefgehende Forschung zugrunde.

Keineswegs sind die drei Betongebirge nämlich bloß abstrakte Stellvertreter für den Bürgerkrieg, vielmehr sollen sie in der Ausstellung auf ihre konkreten Schöpfer verweisen: Auf den ukrainischstämmigen Maler und Kunstschul-Gründer Vasyl Yermilov (1894–1968) etwa, der einen der Sockel für ein nie ausgeführtes „Denkmal für die drei russischen Revolutionen“ entwarf. Oder auf den ebenfalls aus der Ukraine stammenden Bildhauer und Filmemacher Ivan Kavaleridze (1887–1978), der seine beiden futuro-kubistischen Blöcke einst für Kolossalstatuen des bolschewistischen Revolutionärs Fjodor Andrejewitsch Sergejew, genannt „Artjom“, schuf. Und wo schon die Nationalsozialisten eine von Kavaleridzes Artjom-Statuen kippten und der Bildhauer danach in stalinistischer Zeit in Ungnade fiel, ist heute auch das letzte seiner großen Artjom-Bildnisse, das hoch oben bei Sviatohirsk die “Heiligen Berge” überblickt, vom Abriss bedroht.

Während sich die Bilderstürmer an den prorussischen Themen der Darstellungen stoßen, rückt Kadan also die Künstler in den Fokus, deren Statuen da abgerissen werden – und dreht die vermeintlich patriotische „Dekommunisierung“ damit vom Kopf auf die tönernen Beine. Denn wenn man einst gefeierte ukrainische Avantgardisten als sowjetisch verfemt, ist es nicht auch die eigene, ukrainische Geschichte, die man mit den Statuensturm mit auslöscht? Es ist ein simples Vexierspiel, mit dem Kadan da eine vielschichtige Narration spinnt: Von der eng verwobenen und komplexen Geschichte der beiden Nachbarländer über die Konstruktion nationaler Identität, von Kunst im Dienste der Politik bis zu einflussreichen Bildhauern, die mit einem Schlag in Ungnade fallen können. Und Kadan bleibt dabei nicht bei der Gegenwartsanalyse sondern zieht Linien von der heutigen „Dekommunisierung“ bis weit zurück zu den Bilderstürmen der NS-Zeit und zur stalinistischen Zensur.

Aber es scheint nicht nur mangelndes kunsthistorisches Bewusstsein zu sein, das Kadan den Dekommunisierern vorwirft, wenn er ausgerechnet Yermilov und Kavaleridze in den Blickpunkt rückt; vielmehr scheint er gleichzeitig auch die transformativen politschen Utopien der beiden Avantgardisten selbst zu beschwören. Denn die ukrainisch-russische Avantgarde, sie war weit entfernt von nationalistischer Propaganda, hatte emanzipatorischen Anspruch, sah Künstler und Künstlerinnen in der Verantwortung, die Gesellschaft mitzugestalten, wollten Kunst mit dem Leben verknüpfen: Ein Moment des Aufbruchs, das die Region derzeit viel eher brauchen könnte als angeordnete Geschichtsklitterung.

Wie man denn übrigens die vielen leer gewordenen Podeste wiederverwenden könnte, möchte man am Ende fragen? Auch dafür scheint Kadan einen Vorschlag zu haben, wenn er für seine Skulptur „Victory“ eine kleine, weiß gestriche Ausgabe von Yermilovs konstruktivistischen Sockel neu bestückt. Nicht mit megalomanen Führerbildnissen. Sondern mit zwei Keramiktassen, die zusammengeschmolzen in einem bombardierten Haus im Donbass gefunden wurden. Zerbrechlich, in fragiler Balance vereint.

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Rapael Dillhof wurde für diesen Text mit dem AICA Preis für junge Kunstkritik ausgezeichnet. Wir gratulieren ganz herzlich und freuen uns, den Text im artmagazine publizieren zu können.

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Nikita Kadan - Project of Ruins
27.06 - 06.10.2019

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