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Politische Erinnerungsarbeit

Angesichts des nicht nur in Österreich grassierenden Rechtspopulismus hat Ekaterina Degot im Programm des steirischen herbst eine politische Erinnerungsarbeit in den Mittelpunkt gestellt, die unter dem Titel „Volksfronten“ im doppelten Sinne des Wortes „widersprüchlich“ ist.

Der Begriff „Volksfront“ wird in aller Regel nur im Singular benutzt, und zwar als Bezeichnung für ein politisches Bündnis linker Parteien. Die Verfremdungen, die Ekaterina Degot vornimmt, sind aber nicht nur in der quasi ideologiekritischen Pluralisierung des Begriffes begründet, sondern auch dadurch, dass das Wort „Volk“ heute fast vollständig von den Rechten besetzt scheint. Solch Widersprüche prägen dann auch die meisten der künstlerischen Arbeiten, die heuer im steirischen herbst zu sehen sind.

Da ist z. B. die Installation „The Standing Wave“, 2018, von Rossella Biscotti & Kevin van den Beck. Ausgerechnet am „Eisernen Tor“ in Graz, also dort wo Hans Haacke 1998 seinen „Nazi-Obelisk“ rekonstruierte, thematisieren die beiden Künstler die Beziehung von Architektur und Faschismus erneut. Dazu haben sie im Becken eines Springbrunnens kleine fiktive Modelle installiert, die an faschistische Architektur erinnert, die in Italien in den 1920er und 30er Jahren in Badeorten gebaut wurde. Aufgabe dieser an den Modernismus anspielenden Architektur war eine zweifache, wenn man so will widersprüchliche: Einerseits sollte mittellosen Kindern und Jugendlichen ein Urlaub ermöglicht werden, andererseits sollte diese während dieser „Sommerfrische“ ideologisch indoktriniert werden. Widersprüchlich auch die Präsentationsform dieser fiktiver Modelle, denn ihre faschistische Formensprache kommt hier in der Stadtidylle des Springbrunnens fast schon niedlich daher.

Die legendäre Band „Laibach“ stellte am Eröffnungsabend ihre Version des Soundtracks des nicht minder legendären Musicals „Sound of Music“ vor. Mit der provokanten Ansage „Österreich ist ein faschistischer Staat“ begann das Spektakel, es folgte eine musikalische Dekonstruktion des Musicals, die deren rassistischen „Unterton“ bloßlegte. Unterstrichen wurde diese Lesart durch eine Diashow, in der u.a. Aufnahmen aus der Diktatur Nordkorea zu sehen waren. Eingeleitet wurden die Musikstücke mit einschmeichelnder Streichermusik – ein Detail, das zeigt, dass es „Laibach“ auch darum ging, die verführerische Sentimentalität vorzuführen, die eben auch ein fester Bestandteil faschistoider Ästhetik darstellt.

Die Arbeit „Anschluss '90“, 2018, der Berliner Künstlerin Henrike Naumann spielt in der jüngeren Geschichte, bedenkt nämlich die Möglichkeit, dass Österreich sich 1990 nach dem Mauerfall dem nunmehr „vereinten“ Deutschland anschließt. Resultat dieses Anschlusses wäre dann, so Henrike Naumann, eine Zunahme des neudeutschen Konsums, auch und gerade im Bereich der Wohnungseinrichtungen. Also richtet die Künstlerin im Grazer Haus der Architektur drei Zimmer mit handelsüblichem Mobiliar ein, das mit seinen „ästhetischen Fehltritten“ (Katalog) und teilweisen brachialen Stilen durchaus so etwas wie einen „völkischen“ Charakter besitzt, einem gleichzeitig aber irgendwie bekannt vorkommt und postmodern erscheint. Klarerweise darf da auch das Buch „Jörg Haider - Friede durch Sicherheit“ nicht fehlen - Affirmation und Kritik gehen hier Hand in Hand.

Mit Lars Cuzners Projekt „The Intelligence Party“, 2018, ist man dann endgültig in der Aktualität angekommen, denn Lars Cuzner hat hier eine fiktive Partei gegründet mit der er in Graz gleichsam auf eine Wahlkampftour geht. Unermüdlich nämlich stellt der engagierte Künstler das Programm seiner „Intelligence Party“ vor, einer Partei, die einerseits die humanistische Forderung nach einem Wahlrecht auch für Ausländer fordert, andererseits diese Forderung mit rechten Argumenten, wie etwa der wahren Heimatliebe, unterfüttert. Paradoxer scheint es kaum zu gehen – und dennoch: in der Diskussion rund um den Postkolonialismus z. B. wird „Nationalismus als legitime antikoloniale Widerstandsbewegung“ (Varela/Dhawan) immer wieder diskutiert. Dass der steirische herbst Widersprüche wie diese in unterschiedlichen Formen künstlerisch diskutiert, genau dieses macht ihn dieses Jahr so notwendig.

Mehr Texte von Raimar Stange

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