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Frieze London: The Hype goes on

Schwupp - wie durch ein sich plötzlich öffnendes Vakuum flutschen Sammler, Art Consultants, Kuratoren und Adabeis um Punkt elf Uhr durch die Zelteingänge der Frieze. Hier funktioniert er noch, der Kunstmarkt-Hype.

So viel plastische Chirurgie und albernes Schuhwerk kennt die Kunstwelt sonst nur in Miami oder vielleicht noch in Basel. Hier muss anscheinend auffallen, wer wahrgenommen werden will. Das gilt auch für die Kunst.

Trotz oder vielleicht gerade wegen der immensen Teilnahmekosten, klotzen nicht nur die Big Player. Die - im internationalen Kontext - mittleren Galerien, spreizen sich ebenfalls. Kamel Mennour aus (Paris, neuerdings mit Londoner Dependance) lässt seinen Stand von Tatjana Trouvé unter Wasser setzen und mit einem Trümmerbaum bestücken. Weit im sechsstelligen Bereich liegt der Preis für diese Arbeit. Man hofft auf eine Institution als Käufer, daher die Schmallippigkeit beim Preis. Wahrscheinlich zur Risikostreuung leistet sich der Franzose gleich noch einen Stand auf der Frieze Masters.

Auch Lorenz Helbing lässt sich nicht lumpen. Mit einer einzigen Arbeit von Ouyang Chun tritt er an. Den Boden der Koje bedecken unzählige Kleinbronzen von Alltagsgegenständen und Weggeworfenem, eine aktuelle Materialisierung der kurzlebigen Müllskulpturen des Künstlers aus den späten 90er Jahren, deren fotografische Dokumentation in 56 Teilen ebenfalls Teil der Installation ist. Alles zusammen soll 180.000 US-Dollar kosten. Da bleibt selbst bei Verkauf höchstens ein Achtungserfolg.

Das ist die Teilnahme vor allem für Debütanten wie Ginerva Gambino aus Köln. Inhaberin Laura Henseler bestätigt, dass schon alleine die Ankündigung ihrer Zulassung der Galerie einen Schub gegeben habe. "Aber wichtiger ist, wie es weitergeht", gibt sie zu bedenken.

Darüber, wie es weitergeht, scheint sich die Deutsche Bank nicht allzu viele Gedanken zu machen und agiert mit ihrem „Another World Charity Postcard Sale“ - nun ja - ungeschickt. Bis zu vier postkartengroße Kunstwerke haben Künstlerinnen zur Verfügung gestellt, die ohne namentliche Kennzeichnung zu jeweils zu 200 Pfund für einen guten Zweck verkauft werden. Angekündigt als für alle offener Online Sale, stehen tatsächlich erst ab Freitag an drei Tagen jeweils 60 Arbeiten im Internet zur Verfügung. Plus dem eventuellen Rest der 660 Werke, die die Besucher der Deutsche Bank Lounge auf der Frieze verschmäht haben. Ob die stiftenden Künstlerinnen um die Verkaufsmodalitäten wussten?*

Insiderhandel ist im Kunsthandel so legal wie üblich, sei es bei aktueller Kunst wie bei alter. Da ganz alte Kunst wegen ihrer Komplexität mittlerweile schwer zu vermitteln ist, boomt die zeitgenössische Kunst. Und da diese wiederum kunsthistorisch nicht abgesichert ist, greifen Anleger gerne auf Klassiker zurück, also Künstler, die museal Spuren hinterlassen haben und deren Werk am besten abgeschlossen ist - sprich, die nicht mehr leben. Alles innerhalb dieses Spektums findet Platz auf der Frieze Masters, wo Millionenpreise eher zu realisieren sind als auf der Frieze.

Der Besucher kommt in den Genuss musealer Präsentationen, die von den großen Galerien innerhalb kürzester Zeit gestemmt werden können. Eine Museumskuratorin beklagt, dass für sie die Beschaffung der Werke viel langwieriger und aufwendiger sei.

Die segensreiche Wirkung des großzügig bemessenen Budgets ermöglicht etwa eine Schau mit Arbeiten von Man Ray bei Gagosian, mit Zeichnungen von Sergej Eisenstein bei Alexander Gray aus New York oder "Art of the Revolution" aus Haiti bei der Londoner Gallery of Everything. Es handelt sich dabei um eine ganz erstaunliche Kabinettausstellung mit nach 1945 entstandener Kunst haitianischer Künstler, die durch einen Besuch von André Breton einen nicht geringen Einfluss auf die Surrealisten hatte, der von ihrer Ursprünglichkeit beeindruckt war. In der Folge hatte Kunst aus Haiti durchaus eine gewisse Karriere im Westen hatte, geriet dann aber wieder ein wenig in Vergessenheit. Jetzt scheint sie mit Elan zurückzukommen, zumindest den Preisen nach zu urteilen. Unter 30.000 Pfund ist am Stand überhaupt nichts zu bekommen. EIn Portrait des Unabhängigkeitshelden Jean-Jacques Dessalines von Hector Hyppolite kostet 255.000 Pfund.

Das revolutionäre Umfeld des Brexit, in dem mit virtuellen Mistgabeln gen Brüssel gefuchtelt wird, scheint in diesen Kreisen Londons kaum eine Rolle zu spielen. Der Besuch ist vielsprachig wie eh, die Laune ist gut, der Champagner fließt in Strömen. Um den Marktplatz für Hochpreisiges muss man sich wohl keine Sorgen machen.

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* Der Autor hatte eher zufällig das Privileg, den guten Zweck - wohltätige Organisationnen, die Frauen in Not helfen - mit 200 Pfund unterstützen zu dürfen. Die Art, wie der Zugriff auf die Werke geregelt ist, findet er gleichwohl fragwürdig.

Mehr Texte von Stefan Kobel

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Frieze London
04 - 07.10.2018

Frieze Art Fair
NW1 4RY London, Regent`s Park
Tel: + 44 (0)20 7025 3970, Fax: +44 (0)20 7025 3971
Email: info@friezeartfair.com
http://www.friezeartfair.com


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