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Simon Fujiwara - Empathy I: Vom rasenden Stillstand

Ich ziehe eine Nummer, wie im Servicecenter der Deutschen Bundesbahn, genauer: die Nr. 153, um dann im mitten in der Galerie aufgebauten Wartezimmer Platz zu nehmen, auf ausgedienten Eames-Stühlen aus einem Flughafengebäude. Schließlich wird die Nr. 153 von einem in schwarz gekleideten jungen Mann aufgerufen, er führt mich in eine stählern anmutende Kabine, und lässt mich auf einen technoiden Sessel niedersetzen, der ein wenig an die Sitze einer hochmodernen Achterbahn erinnert. Anschnallen und ab geht die Simulatorfahrt: In etwa 3 ½ Minuten werden mir in extrem schneller Geschwindigkeit diverse Clips, zumeist found footage, um die Augen gehauen, die auf einem Monitor flimmern, der vor mir und besagtem Sessel aufgebaut ist. In sogenannter „Ich-Perspektive-Kameraführung“, die mich möglichst nah ins Geschehen integriert, „erlebe“ ich dort einen Besuch im Museum, bewege mich im „rasenden Stillstand“ (Paul Virilio) auf eine gläserne Häuserfront zu, nehme an einem Überfall in der US-amerikanischen Großstadt (L.A?) teil, falle in den Ozean … Sich an alle Szenen zu erinnern macht die Geschwindigkeit der Bilderfolge unmöglich – Stichwort: Entropie. Derweil ruckelt der Sessel heftig, scheint sich nach oben und unten hin zu vibrieren. Gleichzeitig werde ich einen kurzen Moment lang mit kaltem Wasser besprüht, Wind weht mir ins Gesicht und laute Musik, Donna Summer etwa, dröhnt beständig in meine Ohren und daran vorbei.

Angekommen, aussteigen und, leicht benommen, fragen: Was hab ich da gerade erfahren? Eine Erlebnisparkfahrt a la Disneyland? Dafür fehlt es hier an einem durchgängigen Thema, an der Brillianz der dort eingesetzten Bilder und an eine Sequenzfolge in einer Geschwindigkeit, die mich nicht gezielt überfordert. Handelt es sich also, schließlich befinde ich mich ja in einer Galerie, um ein Kunstwerk, um eines, das, so der Beipackzettel zur Ausstellung, „den Fokus radikal vom Bild auf den Körper“ verlagert? Etwa so wie Carsten Höller, auch er hat schon des öfteren in dieser Galerie ausgestellt, jüngst in seiner ebenfalls scheinbar aus einem Erlebnispark zu stammenden Riesenrutsche „Bonn Slide“, 2018, die körperliche Erfahrung in den Vordergrund stellt? Der Vergleich hinkt einerseits, denn Simon Fujiwara will mit Hilfe u. a. von hyperschnell bewegten Bildern und Tönen diese „reale“ Erfahrung initiieren, andererseits aber ist das Resultat seiner Bemühung durchaus dem von Höller ähnlich: Hin- und hergerissen zwischen Faszination und Angst, zwischen Geschwindigkeitsrausch und Erschrecken verlässt man diese tour de force - und fragt sich nach einer Weile wieder: ein Kunstwerk oder bloß ein (gestörtes) Freizeitvergnügen?

Mehr Texte von Raimar Stange

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Simon Fujiwara - Empathy I
01 - 30.09.2018

Esther Schipper
10785 Berlin, Potsdamer Straße 81E
Tel: +49 30 374 433 133, Fax: +49 30 374 433 134
Email: office@estherschipper.com
http://www.estherschipper.com
Öffnungszeiten: Di-Sa 11-18 h


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