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Immersive Wolke

Ein herausstechendes Merkmal aller Performances von Kurt Hentschläger ist ein konzeptionelles Zusammenspiel der Phänomene Zeit und Bewegung. Bei den immersiven Installationen des in New York lebenden österreichischen Künstlers wird der Beobachter mit seinem eigenen Wahrnehmungsvermögen konfrontiert. Vor Beginn der circa 40 Minuten langen Vorführung im Rahmen der Wiener Festwochen muss jeder Besucher anhand eines Fragebogens sein körperliches Wohlbefinden per Unterschrift bestätigen. Mit Ohrstöpseln ausgestattet, wird man in die Halle G im Museumsquartier eingelassen, um dort nochmals Instruktionen für den Fall eventuellen Unwohlseins während der Aufführung zu erhalten.

Mit einem Mix aus Sound und kinetisch-optischen Mustern und Nebeleffekten wird der Besucher in eine weiße „Wolke“ gehüllt. Mit der audiovisuellen Performance „FEED.X“, die Kurt Hentschläger für die diesjährigen Wiener Festwochen neu konzipiert hat, versetzt er die Sinneswahrnehmung der Besucher in ein außergewöhnliches, nahezu unheimlich wirkendes Environment.

Durch den Einsatz von stroboskopischen Lichtern wird eine gewisse Verlangsamung der visuellen Wahrnehmung hervorgerufen, womit aber paradoxerweise zugleich die Wahrnehmungsfähigkeit der Besucher geschärft wird. Ein volltönender elektronischer Sound schafft zusätzlich Verstärkung für das Eintauchen in die künstlich erzeugten weißen Landschaften. Der typisch immersive Charakter der Performance wird jedoch ganz ohne Anwendung von VR-Brillen erreicht.

Hentschläger experimentiert mit der sinnlichen Wahrnehmung der Besucher und stellt darüber hinaus die philosophischen Fragen eines neuen Sensualismus in Zeiten der Digitalisierung in den Raum. Dabei ist die von ihm angewendete digitale Kulturtechnik schon relativ alt. Die Theorie über die inneren Vorstellungen von Welt, die auf George Berkeley (1685–1753), den Hauptvertreter des klassischen Sensualismus in der Aufklärung, zurückgeht, sollte im Zusammenhang mit Hentschlägers Performances nicht unerwähnt bleiben. Die experimentelle Wahrnehmungsforschung im 19. Jahrhundert brachte neue Erkenntnisse im Bereich der Veränderung von Farben durch Bewegung, die letztlich dazu führten, dass Scheinbewegungen künstlich hervorgerufen werden konnten und Virtualität programmierbar wurde.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückten das Aufbrechen und die Erweiterung „klassischer“ Kunstformen mehr und mehr ins Blickfeld der Kunstkritik. Für die Vertreter der ersten Avantgarde wie Ludwig Hirschfeld-Mack, Raoul Hausmann, Alexander László oder Walter Ruttmann, Hans Richter oder Viking Eggeling kam das Zusammenspiel von Musik und Licht erstmals zu einem höheren Stellenwert als die reine Malerei. Mithilfe neuer Medien wie der Lichtorgel (A.W. Rimington) oder dem Piano Optophonique (V. Baranoff-Rossiné), einem elektrischen Klavier mit Kaleidoskop und Projektor, wurden erste Farbenlichtspiele aufgeführt.

Hentschlägers Performances wie „FEED.X“ führen uns moderne lichtkinetische Beispiele mit digitalen Maschinen vor. Wir können dieses beeindruckende audiovisuelle Experiment durchaus als avancierte Fortsetzung der experimentellen Kunst ansehen, die ihre künstlerischen Wurzeln in der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts findet und auf wissenschaftliche Hintergründe aus dem 19. Jahrhundert verweist.

Kusrt Hentschläger – FEED.X
Performance im Rahmen der Wiener Festwochen

Mehr Texte von Romana Schuler

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