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AA Bronson + General Idea - Catch me if you can!: Defektive Reflektionen

Ein Hotelzimmer, ein Spiegel, ein nackter Körper, der hinter dem Blitz der Kamera beinahe zu verschwinden scheint. Die fünfteilige Serie von C-Prints zeigt eine Reihe von Aufnahmen, die AA Bronson auf seinen Reisen von 1995-2000 in verschiedenen Hotelzimmern gemacht hat. Die Bilder entstanden ein Jahr nachdem Felix Partz und Jorge Zontal, die beiden Künstler, mit denen Bronson vier Jahrzehnte lang als das Kollektiv General Idea zusammen gearbeitet hatte, 1994 an AIDS starben. 

Der Spiegel, der hier auf vielleicht expliziteste Art und Weise zum Thema gemacht wird, zieht sich als Motiv durch die gesamte Ausstellung. Unter dem Titel „Catch Me If You Can“ zeigt die Galerie Esther Schipper einen großen Werkkorpus verschiedener Arbeiten von AA Bronson und General Idea, im Versuch eine Kontinuität ihrer Praxis zu präsentieren, 50 Jahre nachdem die drei Männer sich kennenlernten.

In den vielgestaltigen Arbeiten, die in der Ausstellung versammelt werden, wird der Spiegel zum Austragungsort defektiver Reflektionen eines Körpers, der sich als prekäres Grenzobjekt im ständigen Wechsel zwischen Verschwinden und Erscheinen konstituiert.

Sinnbild für diese komplexe Körperlichkeit, die General Idea in ihren Arbeiten entwerfen, sind zum Beispiel die beiden ikonischen V.B. Gowns von 1975 und die vielen dazugehörigen Fotografien. Die Gowns funktionieren als eine Art mobile, tragbare Skulptur im öffentlichen Raum: aufeinander geschachtelte Pyramiden aus schwarzen und roten Aluminium-Lamellen, aus deren Boden ein Paar menschliche Beine hervorblinzeln. V.B. steht für die Abkürzung des englischen Begriffs für Jalousien „Venetian Blinds“, die in der Arbeit zur Figuration eines Dazwischens werden. Die Jalousie gewährt oder verwehrt den Blick nach Außen sowie den nach Innen, sie wird zum Schnittpunkt von privatem und öffentlichem Raum. Der Blick, der auf den Körper gerichtet ist, kann durch Verstellen der Lamellen ganz oder teilweise abgewehrt werden, während der Körper in der schützenden Dunkelheit unter den skultpuralen Mänteln durch die kleinen Rillen nach Außen spähen kann. Der urbane Raum, in dem gerade z.B. nicht weiße, nicht (hetero)normative Körper, durch ihre alleinige Präsenz eine Form der Sichtbarkeit und Anwesenheit behaupten und performen müssen, wird in dieser Installation auf humorvolle Weise zum Kippbild seiner eigenen sozialen Dynamiken.

Eine weitere Arbeit, die man als Kondensationspunkt verschiedener Motive mit denen die Künstlergruppe über einen längeren Zeitraum hinweg arbeitete, betrachten könnte, ist die Bubble Machine von AA Bronson. In dieser Skulptur fügen sich Motoradseitenspiegel zu einer Molekularstruktur zusammen, die visuell der Oberfläche des HIV Virus gleicht und die die Umgebung zu allen Seiten in verzerrten Rundspiegelungen reflektiert. Während die Motoradspiegel in ihrer industriell produzierten Gleichförmigkeit und Rigidität als Verweis auf popkulturelle Überformungen von Maskulinität gelesen werden können, erzeugen die reflektierenden Oberflächen die gleichsam unbehagliche Ahnung einer sich aufdrängenden Fragilität hinter der starren Front der Spiegel.

Während der Körper sich in manchen Arbeiten im Versteckspiel zwischen Spur, Evidenz und Täuschung zu entziehen scheint ist er in anderen hyperpräsent. In den neuesten Arbeiten Bronsons, die in Kollaboration mit Matthias Herrmann entstanden sind, entblößt sich der Künstler selbst in der Tradition des „Flashers“, gibt seinen gealterten Körper der hochauflösenden physischen Realität der Duratrans-Transparente, die auf großformatige Lichtboxen aufgezogen sind, preis.

Parallel zur Eröffnung der Ausstellung zum Gallery Weekend wurde in den KW Institute for Contemporary Art die temporäre, hybride Multimedia Installation „AA Bronsons Garten der Lüste“ gezeigt, in der der Künstler über die Laufzeit von fünf Tagen einen performativen Parcour queerer Kosmologie entwarf. Die kleinteilige, begehbare Installation, die unter anderem ein „Tent for Healing“ enthielt in dem der Künstler selbst die Besucherinnen empfing, nimmt Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ (um 1500) als Ausgangspunkt und entwirft davon ausgehend eine universale Poetologie zeitgenössischer künstlerischer Praxis, die sich die unüberwindbare Aufgabe stellt, das Unbeschreibliche zu beschreiben und das nicht Entzifferbare zu dekodieren. Ein spielerischer Wahnsinn, der vor allem im Rekurs auf die wiederkehrenden Motive der Arbeiten in der parallel laufenden Ausstellung bei Schipper, an den der Protagonistin aus Lewis Carrolls „Alice hinter den Spiegeln“ denken lässt.

Gemeinsam mit General Idea gehört AA Bronson zu den markantesten Impulsgebern ganzheitlicher künstlerischer Praxis unserer Zeit, die durch ihren beeindruckenden Werkkorpus eine Vielzahl an Diskursen angestoßen haben. „Catch Me If You Can“ ist ein beeindruckendes Dokument ihres einzigartigen künstlerischen Aktivismus, der Generationen von Kunstschaffenden inspirierte und dessen Wirksamkeit bis heute spürbar bleibt.

Mehr Texte von Anna Gien

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AA Bronson + General Idea - Catch me if you can!
28.04 - 26.05.2018

Esther Schipper
10785 Berlin, Potsdamer Straße 81E
Tel: +49 30 374 433 133, Fax: +49 30 374 433 134
Email: office@estherschipper.com
http://www.estherschipper.com
Öffnungszeiten: Di-Sa 11-18 h


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