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Jasmina Metwaly - We are not worried in the least: Die Fiktion als das Dokumentarische als das Politische

Jasmina Metwaly zeigt jetzt im Berliner Projektraum SAVVY Contemporary unter dem Titel „We are not worried in the least“ ihre konzeptionellen Videoarbeiten. Angesichts der politischen Situation in Ägypten heute stellt sie dabei politisch engagiert die Frage nach dem Verhältnis von Dokumentation und Fiktion.

Die aus Polen stammende Jasmina Metwaly lebte seit 2009 immer wieder in Kairo, damals arbeitete sie noch als „minimalistische“ Malerin. Ihr Interesse dabei an räumlicher, aber auch zeitlicher Organisation führte sie dann zu dem Medium Video und sie begann mit extrem langen Kameraeinstellungen zu experimentieren. Typisch für viele KünstlerInnen damals, nicht nur in Kairo, veränderte der Arabische Frühling 2011 ihren Blick auf die Welt und damit auch auf die Kunst. So wurde sie Mitglied des aktivistischen Kollektivs „Mosireen“. Diese Gruppe dokumentierte nicht nur die politischen Aufstände des Arabischen Frühlings in Kairo filmisch, sondern organisierte auch das Tahrir Cinema, das mit öffentlichen Screenings die Aufstände begleitete. Dass Arbeiten von Metwaly aus den letzten zwei Jahren nun bei SAVVY Contemporary zu sehen sind ist kein Zufall, ist doch SAVVY, neben dem NGBK und der Galerie KOW, einer der wenigen Kunstorte in Berlin, der sich konsequent der Aufgabe einer (Re)Politisierung der Kunst stellt, die angesichts von neoliberaler Globalisierung und zunehmenden Rechtspopulismus so dringend nötig ist.

Seit der Niederschlagung des Arabischen Frühlings arbeitet Jasmina Metwaly nicht mehr rein dokumentarisch, vielmehr stellt sie jetzt das Dokumentarische in eine produktive Spannung mit dem Fiktionalen. Ein gutes Beispiel hierfür ist ihr gleich zu Beginn der Ausstellung gezeigtes Video „Untitled (Excerpt from footage filmed at Tora Courthouse in collaboration with Mostafa Bahgat)“, 2016. Zu sehen sind in einer etwa 1 ½ Minuten kurzen Einstellung Richter, die vor einem Prozess einen Gerichtssaal betreten. Die prägnante Szene wird als Loop präsentiert und erst diese andauernde Wiederholung führt dazu, dass dem Betrachter vermeintliche Kleinigkeiten auffallen. Z. B. erkennt man dann, wie Sicherheitsbeamte, die den Richtern vorangehen, den Raum dezent auf mögliche Sprengsätze absuchen. Gleichzeitig führt das repetitive Moment dazu, dass das dokumentarische Filmmaterial mehr und mehr unwirklich, ja inszeniert erscheint. Eben dadurch wird nicht nur ein Gefühl der Monotonie betont, sondern vor allem auch das Gefühl des Künstlichen. Besonders Letzteres birgt hier eine explizit politische Dimension, denn Realität als künstliches Event vorzustellen heißt eben auch, Realität als letztlich doch von Menschen veränderbar zu behaupten.

Im Zentrum der Ausstellung und der 9 gezeigten Arbeiten steht dann die extra für „We are not worried in the least“ produzierte Videoinstallation „6 Lessons with Alaa“, 2018. Die Produktionsmodi von bewegten Bildern über Politik werden da kritisch beleuchtet. Unterschiedliche Weisen des filmischen Arbeitens werden auf 6 Monitoren vorgeführt. Ausgangspunkt hierfür ist eine Performance der Künstlerin Alaa Abdullatif , die während des Arabischen Frühlings in Kairo gelebt hat. Sie versucht dem Publikum beizubringen, wie man sich als Filmer im politischen Kampf verhalten muss. Dazu spricht Alaa Texte, die Anleitungen aus Internet zum Thema „Filmen während des politischen Aufstandes“ entnommen wurden. Der Rat „Film crowds from behind“, ist da zu hören, oder z. B.: „Keep the camera close to your body“: Eine der „Lessons“ dreht sich um „Running while filming“, eine andere um „How to record sound“. Diese Anleitungen werden auf einigen der Monitore begleitet von dazu passenden Videoaufnahmen der Aufstände des Arabischen Frühlings. Die Performerin dagegen verneint diese Art der Authentizität konsequent, liest sie doch ihre „Lessons“ auf anderen Monitoren beinahe unbeteiligt vom Blatt ab, in einem leeren Raum sitzend, in einem „white cube“ wenn am so will - und dieser ist nun einmal stets losgelöst von jedweden realen, eigentlichen Lebensbezügen. Das Uneigentliche steht auch zur Disposition in anderen Bildern, die Metwaly aus dem Archiv des Tahrir Cinema zeigt. Die Künstlerin hat nämlich immer wieder Bilder ausgesucht, die sich dadurch auszeichnen, dass sie wenig Informationsgehalt besitzen. Also werden z. B. Aufnahmen vom blauen Himmel über Kairo gezeigt. Gerade diese Umdrehung macht dann die Konventionen des herkömmlichen Dokumentierens deutlich.

Kurz und gut: Wer gerade in Berlin ist, der sollte diese Ausstellung keinesfalls verpassen.

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PS: Das „Archive of resistance“ des Tahrir Cinema kann übrigens unter der Web-Adresse „858.ma“ eingesehen werden.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Jasmina Metwaly - We are not worried in the least
13.02 - 11.03.2018

Savvy Contemporary
13347 Berlin, Reinickendorfer Straße 17
http://www.savvy-contemporary.com/


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