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Allgegenwart

Ist die Fotografie das Medium der Stunde? Das war ein Thema der kürzlich ausgetragenen photo::vienna. Und darf das, was wir mit Handys tagein tagaus erstellen, überhaupt Foto genannt werden? Und wie steht es mit der Zeit, – der Zeit im Bild und der Zeit, die das Bilden hervorbringt? Ist das Foto ein Indikator der Gegenwart oder nur das Resultat eines Belichtungsmoments? Eine Antwort zumindest scheint einfach. Die Fotografie ist immer schon das Medium der Zeit. Ihr ist die Zeit inbegriffen, jedoch nicht unbedingt die Zeitdiagnose. Das heißt, wie hält es sie mit der gesellschaftlichen, der politischen, der empfundenen Zeit? Als Baudelaire die Maxime „Il faut être de son temps“ formulierte, hatte er Manet im Blick, den Maler des Realismus. Er ließ sich von Nadar 1855 ablichten und in einem berühmten Portrait von Etienne Carjat von 1863, das sich übrigens in der Sammlung Fotografis, früher Länderbank, heute Albertina befindet. Dennoch war Baudelaire kritisch, ja geradezu hämisch gegenüber dem neuen Medium. Die „photographische Industrie“ sei die „Zuflucht der verkrachten Maler“. Sie trage die Merkmale der Verblendung und des Schwachsinns, und wegen ihrer Überschätzung auch noch den „Anstrich der Rache“. Das war ein Urteil zu Zeiten, als die Fotografie das Medium der Stunde, besser der halben oder sogar der Viertelstunde war. Heute ist vieles anders. Das Foto ist nicht mehr in Belichtung und Entwicklung zweigeteilt. Dazu ist es noch billig und demokratisch geworden. Nicht mehr nur das Privileg mürrischer Intellektueller. Zugleich steigt die Inflation. Wir leben umstellt von universell flirrenden Wimmelbildern. Die digitalen Fotos, die wir ins Netz stellen, sind wie Zombies zur Ewigkeit verdammt. Ihre Zeitlichkeit ist momenthaft und unsterblich, instagrammatisch und immerwährend. Manche implementieren deshalb eine vergängliche Zeitlichkeit in das Vertriebsprogramm, um es glaubwürdiger und aufregender zu machen. Es ist die Zeit der selbstinduzierten Lebensverkürzung. Was ist Snapchat anderes als der institutionalisierte Freitod der Bildwelt? Zumindest was ihren Lesemodus betrifft.

Doch wo bleibt die Kunst, wenn selbst die Subvertierung den Programmen eingeschrieben ist? Wenn man Vilem Flusser liest, der über die Fotografie während der 1990er Jahre schreibt, als sie eigentlich aufhört zu existieren, so war das fotografische Bild das apparative Bild. Dem Apparat ist ein Programm eingeschrieben. Dem Künstler obliegt es, so Flusser, dieses Programm zu unterhöhlen. Kunst bemüht sich, etwas Unvorhergesehenes hervorzubringen, das dem Programm nicht eingerechnet ist. Es scheint, dass mit jeder technischen Innovation dieser Möglichkeitsraum des Künstlerischen kleiner wird. Wenn das Bild sogar seine eigene Eliminierung plant, so bleibt nicht einmal die Verweigerung oder der Ikonoklasmus. Allerdings erlaubt das Instagram-Bild in den Anschlussstellen zum Marketing und Vertrieb Neuerung und Irritation, auch wenn die Konkurrenz dort übermächtig ist. Ein Beispiel sind die Arbeiten der klugen Amalia Ulman. Das Foto ist heute nämlich nicht die Zuflucht für verkrachte Maler, sondern Sendekanal für jeden, der um Stimmen, Resonanz und Aufmerksamkeit wirbt. Als Praxis ist sie künstlerisch relevant und sogar besonderes Zeichen unserer Zeit. Die Allgegenwart treibt natürlich auch Blüten. Denn wenn der Raum für die Kunst enger wird, so wird die Kunst des Bildermachens andererseits verbreiteter. Für heutige Politiker/innen ist Instagram unausweichlich zum Werbetool geworden. Zu Rhetorik, Glaubwürdigkeit und Verhandlungsgeschick gehört nun auch die Bildkompetenz, selbst für jene, die sich Werbeagenturen nicht leisten können. Denn jeder, der um sich wirbt, ist sein eigener Art Director, Kampagnenfotograf und mediale Einpersonenbewegung. Das ist die Rache des Mediums an seinen Benutzern. Sie müssen, um es in Umdrehung von Baudelaires Diktum zu sagen, nicht den Anstrich der Rache verbergen, sondern der Rache einen Anstrich verleihen.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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