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Bewegter Stillstand

Einmal um die eigene Achse und retour: Während der einstmals als Avant Garde Festival titulierte steirische herbst nach seiner aktuellen Verortung und überhaupt nach den Grundkoordinaten unserer Gegenwart fragt, wird tief Luft geholt in der Vergangenheit. Sogar für die Dramatisierung und landschaftlich ausgedehnte Inszenierung von Elfriede Jelineks Roman »Die Kinder der Toten« aus dem Jahr 1995 gilt das; aber sicher ein schönes Geburtstagsständchen für die Nobelpreisträgerin, die heuer, 2017, am 20. Oktober, ihren 70er feiert.

Im Kunsthaus Graz erinnert eine Schau an dessen Architekten, an den 81 jährigen Peter Cook, der bereits in den 1970er Jahren als einer der führenden Köpfe der techno-utopistischen Gruppe ARCHIGRAM hervorgetreten ist. Deren Fortschrittsfanatismus war deshalb so sympathisch, weil er überbordend ideenreich wie eine schrill-bunte Science Fiction Tapete daherkam. Als Architektur, die in ihrem Inneren die rigide Ideologie des White Cube verweigert, steht das Kunsthaus immer noch singulär da. Interessant die an Hand von Zitaten festgemachte Debatte in der Publikation »Auf ins Ungewisse«, ob sich eine solche Architektur denn überhaupt als Raum für Ausstellungen eigne. Wie wichtig jedoch, dass eine derart phantastische Idee auch tatsächlich umgesetzt worden ist. Damit ist auch der Fokus der Ausstellung skizziert: keine bloße Rückschau, sondern zumindest im Ansatz der Versuch, visionäre Ansprüche und Sachzwang zum Funktionalen an Hand der Entstehungsgeschichte zu vergleichen.

Seltsam allerdings, dass das Kunsthaus auch am großen Eröffnungssamstag des steirischen herbstes routinemäßig um 17 Uhr schloss. Rummel und Begeisterung fanden eindeutig außerhalb statt, wo die Andreas Gabalier-Lederhosen und Dirndl-Fans das »Aufsteirern« einübten.  

Währenddessen zeichnet das Künstlerhaus bzw. die »Halle für Kunst & Medien (KM– Graz)« in einer teils retrospektiv angelegte Ausstellung historische Linien des Aufbruchs nach. Sie erinnert an die Bedeutung der 1967 begründeten »trigon« Schau. Mit der Intention, das Verständnis von Skulptur experimentell zu überschreiten, stellte die Dreiländer-Biennale häufig aufsehenerregende, genreübergreifende, räumliche Entwürfe aus dem Raum Österreich, Italien und Jugoslawien vor. Doch mit der grundsätzlichen Veränderung der politischen Verhältnisse durch die Fragmentierung Jugoslawiens, kam es 1992 schon wieder zum Ende des Projekts. Außerdem finden Werke, die sich vom Begriff der Skulptur herleiten, ihren diskursiven Raum mittlerweile in Münster.

Im Match mit der übermächtigen Vergangenheit gelang Kurator Jürgen Dehm und Direktor Sandro Droschl dennoch ein ehrenhaftes Unentschieden. Wieder zu entdecken gibt es da interessante Werke; wie etwa von Marc Adrian. In dessen flimmernden von gerastertem Glas überzogenen Geometrien wird der Übergang von Op-Art zu Computerkunst deutlich. Nur schwer lässt sich die Wirkung der radikal aus der Farbe heraus gestalteten Skulpturen und stadträumlichen Interventionen von Roland Göschl ohne damaligem gesellschafspolitischen Szenario rekonstruieren, jedoch bieten eine Dia- und eine Filmschau Material dazu. Dass sich die an einer Wand gebotene historische Presseschau in erster Linie auf Artikel aus der Kleinen Zeitung konzentriert, ist nicht nur unlogisch. Der enge Fokus diminuiert auch die überregionale Bedeutung der ausdrücklich als Drei-Länder-Schau konzipierten Biennale.

Positiv und richtig gedacht hingegen wirkt der Versuch zeitlich übergreifende Schnittstellen einzubauen. Die Eingangssituation wurde in Kooperation mit Architekt Eilfried Huth konzipiert, der schon 1967 zusammen mit Günther Domenig eine haus-hohe spiralförmige Kuppel aus Kunststoff als Zugang zum Künstlerhaus realisiert hat. Trotzdem wird bald evident, wie viel seither durchgespielt worden ist und wie schwer sich der Geist der Avant Garde von damals wiederbeleben lässt.

Logisch zwar die Entscheidung, die Eingangssituation durch eine Intervention von Esther Stocker mit perspektivisch gebrochenen Rasterungen in schwarz weiß, die Raumwahrnehmung zu drehen und zu kippen. Aber wie gefährlich nah doch bewegt sich die Künstlerin entlang routinierter Markenpolitik! Heute auch schon historisch, hier aber fast spannender wirkt die Medieninstallation der Grafikerin Tina Frank, die in den 1990er Jahren den visuellen Auftritt des Elektronik Labels »mego« mit ihren fragmentarischen Bildschichtungen determiniert hat. Am stärksten vielleicht die spatiale Intervention von Sonia Leimer »Instabil auf Unstabil« (2015): eine frei hängende Wand, die per Stahlseil und Gegenwicht in Schwebe gehalten wird.    

Vor dem Hintergrund kulturhistorisch bedeutsamer Vergangenheit ist die Schau immerhin ein plausibler Versuch, gegenwärtig noch gültige Skulpturbegriffe abzuhandeln. Durch ihren Ernst und das merkbare Bestreben nach Ausgewogenheit aber fehlt ihr leider ein Schuss Dynamik.

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Kunsthaus Graz
Auf ins Ungewisse. Peter Cook, Colin Fournier und das Kunsthaus
23.09.2017-25.03.2018

Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien (KM– Graz)
trigon 67/17 - ambiente nuovo / post environment
23.09. – 23.11.2017

Mehr Texte von Roland Schöny

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